Eigentlich wollte ich ja keine Versuche mehr mit dem BG20 machen. Es begab sich jedoch, dass kürzlich während eines Wettbewerbs ein Lautsprecher mit einem BG20 und einer suboptimalen Hornkombination den letzten Platz belegte. Ob das nun an der Kombination der Chassis, und/oder der mangelnden Erfahrung des Konstrukteurs lag, vermag ich nicht zu beurteilen. Es insipirierte mich jedenfalls dazu, meine beiden 10,- Euro Pollin Gutscheine beim Erwerb eines Paares BG20 zu vernichten. Es sollte ein letzter Versuch werden, die wohlbekannten und eigentlich nicht für den HiFi Einsatz vorgesehenen 8 Zöller mit irgendeinem zweiten Chassis zu einem klanglich ordentlichen Lautsprecher zu kombinieren.
Visaton BG20
Der BG20 ist ein Standard Breitbänder im 8 Zoll Format. Er verfügt über eine recht leichte unbeschichtete Membran aus schlichter Pappe, die in einem ebenfalls einfachen Blechkorb wohnt. Im Zentrum zischelt bei Fullrangebetrieb ein Schwirrkonus etwas Hochton zum Geschehen. In der Modern Cool wird das Chassis nur bis knapp über 1 kHz betrieben, so dass der Kegel keine Rolle spielt. Man könnte ihn auch entfernen, aber mir persönlich erscheint das Chassis dann mit der kleinen Dustcap optisch wenig harmonisch. Zu den TSP des Chassis gibt es wildeste Angaben. Am wenigsten stimmen wohl die Angaben aus dem Datenblatt mit der Realität überein. In diversen Fachmagazinen und Online-Veröffentlichungen findet man TSP Sätze, die zwar leicht differieren, in der Praxis jedoch zu ähnlichen Abstimmungen führen. Die TSP, die ich vor etwa zwei Jahren bei einem BG20 und jetzt bei den aktuell vorliegenden Chassis ermiteln konnte, weichen minimal ab, was aber in der Praxis ebenfalls keine nennenswerte Rolle spielt.
Visaton BG20 TSP (ootb)
Die obigen TSP wurden nach mehrmaligem Walken und einer anschließenden Ruhephase ermittelt und stimmen quasi mit den Werten überein, die ich auch out of the Box gemessen habe. Sollte sich im Betrieb noch etwas verschieben, wird das wegen Konsistenz, wie wir alle wissen, keine Auswirkungen auf die gewählte Abstimmung haben. Man könnte den BG20 in einem GHP Gehäuse betreiben, wobei Volumina ab 35 bis etwa 55 Liter zu sinnvollen Resultaten führen. Allerdings möchte ich das dem wenig hubfähigen Chassis nicht zumuten. Es profitiert in einem ventilierten Gehäuse von der Hubentlastung im Bereich der Abstimmfrequenz, in dem die Membran selbst kaum auslenkt. Dafür steigt, wie bei jeder ventilierten Box der Hub unterhalb dieser Frequenz. Einmal mehr startete ich das entsprechende MJK Sheet und simulierte dem Töner eine TQWT auf den Leib, die einen gangbaren Kompromiss zwischen Performance und Größe bietet. In einer schön dimensionierten schlanken Standbox steigt der Bass hinab in den Keller bis in Regionen Richtung 40 Hz.
Visaton BG20 in 160cm TQWT
Seit längerer Zeit schleiche ich um ein Chassis herum, das ebenfalls eher nicht in der HiFi Ecke für Furore sorgen konnte. Der ovale Breitbänder SL713 ist mit seiner Form aber gar nicht so uninteressant. Bislang in einem Lautsprecher Bausatz nur als Array in den Visaton Orgues eingesetzt, wurde das Chassis mit der ungewöhnlichen Vintage Optik offenbar ein wenig unterschätzt. Baut man es nämlich quer ein, passt es mit seiner „Breitseite“ wunderbar zum Bündelungsverhalten des BG20.
Visaton SL713
Die beiden Chassis messen sich unbeschaltet in ihren vorgesehenen Bereichen ordentlich. Bis zur angedachten Trennfrequenz bei etwa 1 kHz spielt der BG20 bis auf den allseits bekannten kleinen Dip bei etwa 700-800 Hz mit ordentlicher Linearität. Man könnte ihn entsprechend beschalten und eine Trennfrequenz im Bereich 600-700 Hz realisieren. Die Senke würde dabei verschwinden. Die aufwändige Beschaltung wäre für das preiswerte Chassis aber Overkill. Also nehmen wir die Senke in Kauf und trennen höher, was gleichzeitig dazu führt, dass der SL713 nicht so schnell Schweißperlen auf seiner Brust bekommt.
Visaton BG20 unbeschaltet Messung 0°
Bis etwa 1,7 kHz ist der Verlauf frei von störenden Resonanzen. Mit ein wenig Pflege könnte auch eine Trennfrequenz im Bereich von 2 kHz realisiert werden. Allerdings ist dann eine steilflankige und teure Beschaltung nötig, die auf jeden Fall vermieden werden soll.
Halten wir nun mal dem SL713 das Mikrofon auf die Membran.
Visaton SL713 unbeschaltet Messung 0°
Der kleine Ovali will zwar nicht ganz so ausgewogen spielen, aber der Frequenzverlauf zeigt keine allzu großen Probleme. Betrachten wir das einmal im Detail. Im Bereich von 300 – 500 Hz ist eine Schalldrucküberhöhung auf der Einbauresonanz zu sehen. Ab etwa 1 kHz steigt der Pegel auf über 95dB an. Dieses Niveau kann er, abgesehen von einer Senke bei 5 kHz, bis in den Hochtonbereich halten. Eine Trennfrequenz ab etwa 1kHz erlaubt es, den Pegel des Chassis mit einem 3,9 Ohm Widerstand fast auf das Niveau des BG20 abzusenken. Das eigentliche Filter knabbert auch noch leicht am Schalldruck, so dass die Pegelverhaltnisse der beiden Chassis einwandfrei zueinander passen.
Visaton SL713 unbeschaltet vs. mit 3,9 Ohm Vorwiderstand
Mit einem Shelving Filter, welches den Vorwiderstand zur Pegelanpassung überbrückt, wird dann der Dip bei 5 kHz weitgehend aufgefüllt, so dass sich ein bis jetzt mehr als brauchbares Verhalten einstellt.
Visaton SL713 mit Vorwiderstand ohne und mit Shelving Filter (var 1)
Das Shelving Filter macht nichts anderes, als den Vorwiderstand im Bereich der Senke „lahmzulegen“. In Folge kann der kleine Breiti an dieser Stelle genauso laut spielen, wie in seinem restlichen Arbeitsbereich.
In der finalen Beschaltung sorgen der bereits genannte Vorwiderstand mit dem Shelving Filter und ein Hochpass 3. Ordnung aus zwei preiswerten Elkos sowie einer Spule für den passenden Übergang zum BG20.
Visaton SL713 final beschaltet (var 1)
Im Zusammenspiel mit seinem Kollegen BG20 stellt die Simulation ein insgesamt stimmiges Ergebnis in Aussicht.
Modern Cool Simulation 0° und Einzelzweige (var 1)
Unter horizontalen Winkeln zeigt sich im Hochtonbereich das für Breitbänder typische Gezappele.
Modern Cool Simulation 0° – 90° (var 1)
Eine saubere visuelle Trennung des Abstrahlverhaltens ist kaum möglich. Dazu später bei den Messungen mehr. Jedenfalls zeigt sich ein für einen Breitbandlautsprecher gutes horizontales Energieverhalten.
Modern Cool Simulation 0° und Energieverhalten (var 1)
Bei den abschließenden Messungen zeigt sich, dass diese und die Simulationen eine sehr gute Übereinstimmung aufweisen. Man könnte auch von eineiigen Zwillingen sprechen.
Modern Cool Messung 0° + Einzelzweige (var 1)
Modern Cool Messung 0° + Impedanzverlauf (var 1)
Modern Cool Messungen 0° – 90° ungeglättet (var 1)
Ein aus den obigen Messungen generiertes Power Average zeigt einen Anstieg im Hochtonbereich, der sich in stärker bedämpften Hörräumen als vorteilhaft erweisen kann. Ebenso präferieren viele Fans von Breitbändern einen gewissen Hochtonanstieg. Dem kommt diese Variante entgegen.
Modern Cool Power Average ungeglättet (var 1)
Um die Winkelmessungen und das resultierende Abstrahlverhalten ein wenig besser zu visualisieren, zeigt die folgende Grafik die 0° – 90° Messungen in maximal geglätteter Darstellung.
Modern Cool Messungen 0° – 90° maximal geglättet (var 1)
Mit der Glättung 1/1 oct wird das sehr ordentliche Abstrahlverhalten mit dem ansteigenden Hochtonbereich der Modern Cool deutlich.
Modern Cool Power Average 1/1oct geglättet (var 1)
In moderner eingerichteten, wenig bedämpften Räumen mit mehr reflektierenden Flächen erweist sich eine gleichmäßigere Abstrahlung meist als die bessere Lösung. Für Freunde ausgewogener Wiedergabe stellt sich diese Frage i. a. R. nicht, so dass der Griff zur folgenden Abstimmung der bessere sein dürfte. Interessant ist, dass sich die unterschiedlichen Charakteristiken mit nur einem einzigen Bauteil einstellen lassen.
Modern Cool Messung 0° + Einzelzweige (var 2)
Modern Cool Messung 0° + Impedanzverlauf (var 2)
Modern Cool Messung 0° – 90° ungeglättet (var 2)
Die Messungen mit dem zusätzlichen Bauteil zeigen einen deutlich geringeren Anstieg im Hochtonbereich, was sich natürlich auch auf die gesamte Energieabgabe niederschlägt. Das auch für diese Variante erstellte Power Average zeigt einen ausgewogeneren, für einen Breitbandlautsprecher sehr guten Verlauf.
Modern Cool Power Average ungeglättet (var 2)
Um auch bei dieser Beschaltungsvariante das Winkelverhalten besser zu visualisieren, wurden die vorhandenen Messung ebenfalls maximal geglättet.
Modern Cool Messungen 0° – 90° maximal geglättet (var 2)
Modern Cool Power Average maximal geglättet (var 2)
Auch das Power Average zeigt keine bedeutsamen Auffälligkeiten und darf für einen Breitbänder als sehr gut und ausgewogen bezeichnet werden.
Für Fans des gepflegten Klirrfaktors wurden ebenfalls entsprechende Messungen angefertigt. Diese wurden mit der Beschaltung der var 2, also mit dem zusätzlichen Bauteil, erfasst.
Modern Cool Klirr @ 85dB
Modern Cool Klirr @ 90dB
Modern Cool Klirr @ 95dB
Die Klirrmessungen attestieren dem Lautsprecher ein für diese Preisklasse sehr gutes Verhalten. Erst bei 95dB wird die 1% Marke des gutmütigen K2 erreicht. Hier ist keine weitere Diskussion erforderlich.
Der BG20 gibt sich mit einer sehr einfachen Beschaltung zufrieden. Lediglich ein 12dB Filter mit einer Impedanzlinearisierung sorgen für eine schön abfallende Flanke. Der SL713 hingegen benötigt ein wenig mehr Aufmerksamkeit. Die notwendigen Bauteile sind aber preiswert, da die Spulen kleine Werte aufweisen. Bei den Kondensatoren ist ein Griff ins günstige Elko Regal das Mittel der Wahl.
Modern Cool Weichenplan
Die beiden Varianten unterscheiden sich in der Beschaltung nur durch ein einziges Bauteil, nämlich die dem Hochpassfilter 3. Ordnung nachgeschaltete kleine 0,1mH Spule, die im obigen Weichenplan grün markiert und umrandet dargestellt ist.
Für interessierte Nachbauer habe ich wieder einen Warenkorb für Weichenbauteile für „var 2“ aus dem Quint-Store vorbereitet.
Warenkorb für den Quint-Store (Preisstand 24.10.2024)
Im Hinblick auf eine möglichst preiswerte Nachbaubarkeit ist für den Tiefpass eine I-Kern Spule mit 0,7mm Draht vorgesehen. Ferner sind die beiden Widerstände als 10 Watt, bzw. 5 Watt Typen vorgesehen. Das reicht bei normalen Hörgewohnheiten mit „manchmal etwas lauter“ vollkommen aus. Bei dauerhaften Vollgasattacken können eine (teurere) Luftspule mit 1,0mm Draht, sowie 20/10 Watt Typen für die beiden Widerstände eingesetzt werden.
Da ich für den Aufbau der Modern Cool möglichst wenig Aufwand betreiben wollte, habe ich die Weichen komplett aus vorhandenen, teilweise ausgelöteten Bauteilen aufgebaut. So stammt die 1,8mH Spule im Tiefpass von Altec. Es war eine Spule mit 3mH und diversen Abzapfungen bei kleineren Werten. Ich habe diese Spulen auf 1,8mH abgewickelt. Die Abzapfungen lagen zum Glück in diesem Bereich und sind somit nicht mehr vorhanden. Die 0,82mH Spulen hatten zuvor 0,9 und 0,87mH. Optisch unterscheiden sie sich etwas, aber nach dem Abwickeln haben beide 0,82mH. Die 0,33mH Spulen im Shelving Filter hatten 0,52mH. Auch diese kleinen Kernspulen habe ich auf 0,33mH abgewickelt. Ihr Widerstand beträgt etwas über 0,4 Ohm. Ebenfalls auf 0,1mH abgewickelt wurden die Spulen mit dem orangefarbenen Körper. Das sind Spulen, die ich aus alten Weichen ausgelötet habe, die ich vor längerer Zeit im Dutzend für wenige Euro gekauft habe. Leider hatte ich keinen 18µF Kondensator für den Hochpass. Hier habe ich eine Parallelschaltung je eines 10µF und 8,2µF Elkos verwendet. Insgesamt alles Centkram. Der Impedanzverlauf der beiden Weichen ist ganz nah am Prototypen vom Steckbrett, und auch untereinander ist die Toleranz sehr klein.
Modern Cool Frequenzweiche
Modern Cool Weichen Toleranz
Modern Cool Bau- und Bedämpfungplan (vergrößern -> rechte Maustaste -> Bild in neuem Tab anzeigen)
Wie bei allen meinen Bauplänen stimmen die Maßstäbe nicht. Die Maße sind jedoch korrekt um einen einwanfreien Nachbau zu ermöglichen.
Die Weichen- und Baupläne sind für private Nutzung freigegeben. Jegliche Form der gewerblichen Nutzung oder Verbreitung ohne vorherige Absprache ist untersagt und wird strafrechtlich verfolgt.
Boxsim Jüngern sei angeraten, nicht zu versuchen, die Modern Cool in Boxsim nachzuvollziehen. Wie in fast allen Fällen, ist Boxsim mit den darin hinterlegten Messungen nicht in der Lage, eine wahrheitsgetreue Simulation zu liefern. Auch für diese ansonsten einwandfrei funktionierende Software gilt, dass sie nur und ausschließlich mit eigens angefertigten Messungen zu aussagekräftigen Simulationen in der Lage ist. Mit den hinterlegten Messungen sieht die Simulation mit Boxsim 2.1 wie folgt aus:
Modern Cool Simu mit hinterlegten Messungen in Boxsim 2.1
Es ist natürlich immer schwierig, eine klangliche Beschreibung eines Lautsprechers abzugeben. Modern Cool klingt sehr vollständig, mit einem recht kräftigen Bass. Die ausgewogene Abstimmung sorgt für eine schöne Bühnendarstellung. Auch kritische Stimmen werden glaubhaft und natürlich dargestellt. Es nervt rein gar nichts. Beide Weichenvarianten haben im Rahmen der Beschreibung im Verlauf des Artikels ihre Vorteile. Eine Spur mehr „Biss“ im Mitteltonbereich erhält man durch Vergrößerung des ersten Kondensators im Hochpass von 10µF auf 12µF. Einfach probieren…
2 Kommentare
Hallo Aleksander. Mich interesiert ob ich alle spullen gegen die 1mm variante taucshen kann? Mein lieferant in Slowenien hat leider die 0,7mm nicht vorratig.
LG, Jurij
Autor
Hallo Jurij,
das kannst du ohne Probleme machen. Es ergeben sich in der Simulation nur minimale Veränderungen, wenn du die 0,33mH und 0,1mH Spule auch in 1,0mm ausführst.

Gruß Alex