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Messen, Fügen, Simulieren – einfach erklärt

Unendlich viele DIY Einsteiger wünschen sich, eigen- und selbstständig ihren Traumlautsprecher zu entwickeln. Immer wieder sieht man, selbst in vermeintlichen Fachforen, dass Anfängerfragen zum Messaufbau, der Durchführung und Verarbeitung von verwertbaren Messungen für spätere Simulationen nicht, oder nur unzureichend beantwortet werden. Dabei ist es gar nicht schwierig, mit einem brauchbaren Mess-Setup in entsprechender Umgebung korrekte Messungen einzufangen und sie für die Verarbeitung in Simulationsprogrammen aufzubereiten. Die folgende Anleitung soll dem geneigten DIY Anfänger die Angst vor der Messerei nehmen und ihm in einfachen Worten aufzeigen, mit welchen Handgriffen er Schritt für Schritt verwertbare Messungen anfertigt.

In dieser Anleitung gehe ich nicht auf das Mess Setup selbst ein. Die Einzelheiten dazu sind in den Anleitungen und Kompendien der jeweiligen Mess-Software hinreichend beschrieben und diesen zu entnehmen. Ein korrekter (semi-)zweikanaliger Aufbau des Setups wird vorausgesetzt. Die im folgenden beschriebene Anleitung funktioniert nur mit einem solchen Aufbau. Auch die beliebten und verbreiteten USB-Mikrofone wie UMIK oder Dayton UMM-6 etc. sind nicht geeignet. 

Die einzelnen Schritte werden am Beispiel der Software ARTA erläutert. Sie sollten sich auch auf andere Software, wie z. B. REW wenigstens teilweise übertragen lassen. Da ich ausschließlich mit ARTA arbeite, kann ich eventuell auftauchende Detailfragen zu anderer Software nicht beantworten. Ein- und Umsteigern empfehle ich klar ARTA. Warum das so ist, beantwortet sich im weiteren Verlauf dieser Abhandlung.

Bevor wir aber mit den einzelnen Schritten der Messerei beginnen, müssen wir zunächst überlegen, wo wir die Messungen vornehmen können bzw. wollen. Grundsätzlich gilt, dass ein unendlich großer Raum ohne begrenzende Wände  das theoretische Ideal darstellt. Natürlich ist ein solcher Raum real nicht zu finden, und deswegen verfügen große Lautsprecherhersteller, oder auch Universitäten mit entsprechender Fachrichtung reflektionsarme Räume, die dieser Theorie so gut es geht folgen. Es handelt sich um sehr größe Räume, die rundum mit sehr dickem, schallabsorbierendem Material ausgekleidet sind. Der Boden ist i. a. R. auf halber Raumhöhe als möglichst reflektionsarmes Stahlgeflecht ausgeführt. Das zu messende Objekt und natürlich auch die Messelektronik befinden sich auf dieser Ebene und sind von allen begrenzenden Wänden, dem wirklichen Boden und der Decke weitestmöglich entfernt.

RAR TU Berlin

 

Das schallabsorbierende Material, mit welchem solche RAR ausgekleidet sind, verhindert Reflektionen, die die Messungen verfälschen würden. Leider sind aber die Möglichkeiten, die ein solcher RAR bietet, auch i. a. R. begrenzt. Die „besseren“ RAR erlauben aber Messungen bis zu vielleicht 50 Hz hinab. Natürlich haben wir als Hobbyisten keinen Zugriff auf einen RAR, so dass wir uns mit in den meisten Fällen mit normalen Wohnraum Bedingungen zufriedengeben müssen.

Um die Gegebenheiten des Raumes, in welchem die Messung stattfinden soll, so gut wie möglich auszuschöpfen, sollten alle begrenzenden Wände möglichst weit vom unmittelbaren Messbereich entfernt sein. Mein Messraum ist nahezu quadratisch mit einer Kantenlänge von etwa 4,5 x 4,5 Meter. Die Deckenhöhe beträgt ungefähr 2,65 Meter.  In diesem Messraum positioniere ich den zu messenden Lautsprecher so, dass sich bei einem 2-Weger der Bereich zwischen TMT und HT auf halber Raumhöhe befindet. So ist gewährleistet, dass TMT und HT in etwa gleich weit von Boden und Decke entfernt sind. Auf einen cm kommt es meist nicht an. Wichtig ist auch, dass der ggfs. mit einem Ständer o. Ä. unterbaute Lautsprecher keine Kanten unterhalb „sieht“. Der Unterbau sollte keineswegs über die Seiten oder den Boden des zu messenden Lautsprechers hinausragen.

 

Lautsprecher auf Messhöhe

Gemessen wird im besten Falle diagonal im Raum. Lautsprecher und Mikrofon werden so positioniert, dass sich der gedachte Mittelpunkt der Messentfernung von 1 Meter in der diagonalen Raummitte befindet. Das Mikrofon wird auf Höhe des Hochtönermittelpunkts gebracht.

Prinzipskizze Messaufbau diagonal im Raum

 

Messaufbau diagonal im Raum

 

Ferner ist dringend darauf zu achten, bei Winkelmessungen die korrekte Drehachse einzuhalten. Das heißt, dass sich die Vorderkante der Schallwand in der Drehachse befinden muss. Nur so ist gewährleistet, dass die Entfernung von der Schallwand zum Mikrofon auch bei Drehung des Lautsprechers im Rahmen der Möglichkeiten identisch bleibt.

Drehachse des zu messenden Lautsprechers

 

Das war es auch schon weitgehend. Zusätzlich sei angemerkt, dass alle Gegenstände, die im Messraum verbleiben, möglichst weit vom Messbereich entfernt sein sollen. Schränke, Regale, oder andere Dinge, z. B. auch der auf dem Bild ersichtliche Tisch an der Fensterwand, verbleiben selbstverständlich im Raum. Kleine Dinge, wie Kartons, Hocker etc. einfach so weit wie möglich an die Wände schieben, und schon kann es losgehen. Der Lautsprecher wird im 0° Winkel zum Mikrofon ausgerichtet, und die erste Messung wird gestartet.

Messimpuls ohne Fensterung

 

Der oben gezeigte Messimpuls führt bei der Darstellung als Frequenzgang zu folgendem Verhalten.

Frequenzgang und Phasen ohne Fensterung

 

Da sich in einem üblichen Wohnraum durch seine Größe deutlich früher Reflektionen bilden als in einem optimierten großen RAR, müssen diese Reflektionen, die die Messung verfälschen, ausgeblendet werden. Dazu setzen wir ein Fenster, welches den Bereich von kurz vor dem Messimpuls und kurz vor der ersten Reflektion umfasst. Bei ARTA positioniert man dazu den Cursor (gelb) vielleicht zwei Millimeter vor der Impulsantwort und den Marker (rot) kurz vor der ersten Reflektion, die sich in der Messung deutlich zeigt.

Messimpuls mit Fensterung (Gate 4,921ms)

 

Diese Vorgehensweise bringt einen großen Vorteil, aber auch einen Nachteil mit sich. Der Vorteil ist, dass sich eine vollkommen saubere Messkurve ergibt, die, und das ist der Nachteil, nur bis in den unteren Mitteltonbereich bzw. Oberbass Gültigkeit hat. Tiefere Frequenzen „passen“ nicht in das Messfenster. Das hier gesetzte Fenster ist 4,921ms groß, was einer Gültigkeit der Frequenzgangdarstellung bis theoretisch rund 200 Hz entspricht. ARTA zeigt dies durch den gelben Balken im unteren Bereich des Diagramms an. Da die Genauigkeit im Grenzbereich jedoch ein wenig veschwimmt, sollte man der Messung erst ab vielleicht 300 Hz sein volles Vertrauen schenken. Oftmals kann es hilfreich sein, das Fenster nicht bis zum Äußersten auszureizen, denn beim Einzoomen des Messimpulses zeigen sich oft schon kleinere Artefakte ein Stückchen vor der ersten Reflektion. Hier kann man durchaus probieren, das Fenster „nach hinten“ ein paar Pixel früher zu schließen.

Frequenzgang und Phase mit Fensterung

 

Das soll uns aber zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht stören, denn es gilt als nächstes Winkelmessungen anzufertigen. Dazu drehen wir den Lautsprecher in die Position 15° und fertigen eine entsprechende Messung an. Und dabei ist eines ganz wichtig: Das zuvor eingestellte Messfenster darf nicht mehr verändert werden!!! Alle weiteren Winkelmessungen, auch die vom Hochtöner, werden in dem bei der ersten Messung eingestellten Fenster angefertigt. Diese Vorgehensweise garantiert die korrekte Erfassung der Phaseninfornmation in den Messungen. Diese ist wichtig, um über eine Simulation eine funktionierende Frequenzweichenschaltung entwickeln zu können. Einfach ausgedrückt handelt es sich bei der Phaseninformation um den Faktor Zeit, den der Schall auf dem Weg von seinem Entstehungspunkt zum Mikrofon benötigt. Nur wenn diese Information in der Messung enthalten ist, kann bei der Dimensionierung der Frequenzweichenschaltung im Bereich der geplanten Übernahmefrequenz die Phase so eingestellt werden, dass sich ein sauberer Übergang ohne Überhöhungen oder Einbrüche ergibt. In 99,9% aller Fälle empfiehlt es sich, mit dem T(M)T zu beginnen, da die Laufzeit seines Schalls zum Mikrofon länger ist, als die des Hochtöners, auf dessen Höhe sich ja das Mikrofon befindet. Nur in ganz wenigen Fällen, wenn z. B. ein T(M)T mit sehr flacher Membran und ein sehr tief bauendes Horn miteinander kombiniert werden, kann die Laufzeit beim Horn-HT länger sein, als beim T(M)T. In diesen Fällen hilft nur ein Test, welches der beiden Chassis die Grenze für das Fenster markiert.

Wenn man im Vorfeld für den T(M)T bereits eine Gehäusesimulation auf Basis der TSP angefertigt hat, reichen die Fernfeldmessungen von T(M)T und HT aus, um eine sinnvoll funktionierende Weichenschaltung für seinen Lautsprecher zu designen. Das Verhalten im Bass, welches die Fernfeldmessungen nicht zeigen, kennt man aus der Gehäusesimu, und man kann es sich unterhalb des Baffle Steps, der in diesem Beispiel ab etwa 400 Hz beginnt, dazudenken. Wenn gewünscht, kann man natürlich auch noch Nahfeld- und ggfs. Portmessungen anfügen. Diese sollte man aber dann vor den Fernfeldmessungen anfertigen, um nach den Fernfeldmessungen die Mikrofonposition nicht mehr verändern zu müssen.

Für Messungen im Nahfeld wird das Mikrofon etwa 3-5mm vor die Dustcap, bzw. den Port gerückt und je eine Messung angefertigt. Damit das Messsystem nicht übersteuert, muss natürlich der Pegel reduziert werden. Bei ARTA kann dieser im „Impulse Response Measurement“ Fenster um bis zu 20dB reduziert werden. Der Vorteil bei ARTA ist, dass der im Messfenster angezeigte Pegel bei zweikanaligem Aufbau immer korrekt angezeigt wird, unabhängig von der tatsächlichen Lautstärke. Das erleichtert die korrekte Skalierung der Port/Nahfeld-Messung zur Fernfeldmessung ungemein, da beim späteren Merging in VituixCAD der korrekte Pegel über die Eingabe der Entfernungsdifferenz bei den Messungen und die abstrahlenden Flächen von Port und Membran automatisch erfolgt.

Pegelreduzierung in ARTA

 

Leider bietet REW dieses Feature  nach meinem Kenntnisstand nicht, so dass bei der notwendigen Reduzierung der Messlautstärke auch ein verringerter Pegel in der Frequenzgangdarstellung angezeigt wird. (Sollte das Feature bei REW ebenfalls vorhanden sein, bitte ich um kurze Info. Natürlich werde ich diesen Passus dann entsprechend ändern.)

Nachdem wir also das Mikrofon etwa 3-5mm vor der Dustcap positioniert und den Messpegel soweit reduziert haben, dass die Messsoftware nicht übersteuert, fertigen wir die Nahfeldmessung an.

Messimpuls Nahfeldmessung

 

Da wir den Bassbereich nicht ausblenden wollen, dürfen wir hier natürlich kein Fenster setzen. Das brauchen wir auch nicht zu tun, denn störende Reflektionen und auch ein Effekt durch den Baffle Step werden durch die Nähe des Mikrofons zur Membran ausgeblendet.

Frequenzgang mit Phase Nahfeldmessung

 

Wir sehen einen störungsfreien Frequenzgang ohne Reflektionen und auch ohne den Effekt des Baffle Steps. Da es sich in diesem Beispiel um einen geschlossenen Lautsprecher handelt, der später mit einem GHP Kondensator betrieben wird, gibt es keine Portmessung. Eine solche würde nach dem gleichen Muster, etwa 3-5mm mittig vor dem Port durchgeführt.

Nun gilt es, die Nahfeldmessung mit den Fernfeld-Winkelmessungen zu mergen. ARTA bietet diese Möglichkeit zwar auch, aber es ist notwendig, dies entweder schon während der Messungen zu erledigen, oder im Nachgang mit abgespeicherten Messungen. Letzteres erfordert aber eine kostenpflichtige Lizenz, welche inzwischen nicht mehr angeboten wird. ARTA ist aber noch als Download verfügbar und als kostenlose Version in vollem Umfang funktionsfähig, bis auf das Abspeichern der Messdateien. Der Export und die Aufbereitung der Messungen ins .txt oder .frd Format und somit eine Verwertung in Simuprogrammen ist natürlich möglich.

Viel einfacher und ohne große Rechnerei ist ein Merging in VituixCAD möglich. Dazu importiert man die gewonnenen Messungen in das „Merger Tool“.  Dort gibt man, wie bereits erwähnt, die Flächen (Sd) von Chassis und ggfs. Port ein, sowie die Entfernungsdifferenz zwischen Nah- und Fernfeldmessung. Das klingt sehr einfach, aber das alleine reicht noch nicht für ein korrektes Merging. Die Software benötigt nämlich die Abmessungen der Schallwand und die Position des Chassis auf dieser, damit der Effekt des Baffle Step berücksichtigt werden kann. Boxsim und ARTA können dies über die Eingabe der Schallwandabmessungen. VituixCAD erfordert eine etwas andere Vorgehensweise. Entweder trägt man den Beginn des Baffle Step Effekts „auf ungefähr“ in Hz ein, oder man erstellt über das „Diffracion Tool“ eine entsprechende Kurve, die in das „Merger Tool“ geladen werden kann.

Im „Diffraction Tool“ trägt man die Eckdaten seiner Lautsprecher ein, nämlich den Wert Sd für die Fläche der Membran, die Dimensionen der Schallwand, die Position des TMT auf der Schallwand, eventuelle Fasen und die Position des Mikrofons, die der des Hochtöners entspricht. Bei Fernfeldmessungen sieht die Anleitung von VituixCAD vor, für die Hörentfernung Werte zwischen 5000 und 30000mm einzutragen. Mit dem Wert 15000mm haben sich bislang sehr gute Ergebnisse erzielen lassen. Ein wenig rauf oder runter macht den Braten nicht fett. Mehr wird für die Erstellung einer Diffraction Kurve nicht benötigt. Die aus den eingegebenen Daten resultierende Kurve exportieren wir, um sie im nächsten Schritt im „Merger Tool“ zu verarbeiten.

Erstellung einer Diffraction Kurve im Diffraction Tool

 

In das MergerTool wird nun die Nahfeldmessung im Bereich „Low frequency part“ importiert und anschließend der Wert für Sd (hier 95cm²) eingetragen. Ein gesetztes Häkchen bei „BS“ bestätigt, dass das Chassis und ggfs. auch der Port auf der Front sitzen. Nun wird der Punkt „Diffraction Response“ angeklickt und die zuvor erstellte Kurve bei „Diffraction response 5-30m“ eingegeben. In den Bereich „High frequency part“ lädt man dann seine Fernfeld(winkel)messungen.

Merger Tool mit importierten Nah- und Fernfeldmessungen, sowie Sd und 1 Meter Entfernungsdifferenz

 

Die automatisch vorgegenene Entfernungsdifferenz zwischen Nah- und Fernfeldmessung von 1000mm ist natürlich nur eine grobe Angabe, so dass die Pegelverhältnisse zwischen Nah- und Fernfeld nicht ganz genau zusammenpassen. Das liegt daran, dass als Messdistanz der tatsächliche SEO (Schallentstehungsort) angegeben werden müsste. Der liegt auf der Ebene der Schwingspule und kann deswegen nicht exakt bestimmt werden. Um dennoch korrekte Verhältnisse zu schaffen, skaliert man den Nahfeldanteil einfach passend zur Fernfeldmessung.

Merger Tool mit importierten Nah- und Fernfeldmessungen, sowie Sd und korrigiertem Nahfeldpegel

 

Im vorliegenden Beispiel wurde der Pegel der Nahfeldmessung um 1,5dB abgesenkt. Die Pegelverhältnisse passen nun perfekt. Etwas weiter oben im Text wurden 300Hz als hinreichend genaue Frequenz für ein Merging bestimmt, so dass der Cursor bei dieser Frequenz gesetzt wird. Mit einem Klick auf „Merge“ werden die gefügten Frequenzgänge abgespeichert. Sie sind nun für eine perfekte Simulation verwertbar.

Nun müssen noch die Impedanzverläufe der Chassis im eingebauten Zustand gemessen und mit der elektrischen Phase gespeichert und in VituixCAD importiert werden.

Die Simulation kann beginnen. Good Luck…

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