Geben Sie es ruhig zu. Manchmal legen auch Sie bei der Bestellung eines Wunschartikels noch irgendein Gimmick mit in den Warenkorb. Natürlich braucht man diese mitbestellten Artikel nicht, aber meist sind es ohnehin nur Kleinbeträge, die solcher Firlefanz extra kostet. Da siegt mitunter einfach die Neugierde, und schwupps, landen überflüssige Dinge im Warenkorb. Ja, auch ich bin von diesem Virus befallen, und so fanden irgendwann ein Paar Sica Q07030A, sowie zwei kleine 19mm Kalotten von Aiyima in meinen Fundus.
Sica Q07030A
Aiyima 19mm Hochtonkalotte 6 Ohm
Ebenfalls aus reiner Neugierde pappte ich die Hochtönerchen unter Zuhilfenahme von reichlich Gaffer Tape an die italienischen Hörnchen. Ohne Schallwand und nur auf ein zufällig herumstehendes Gehäuse gelegt, fertigte ich ein paar quick ’n dirty Messungen der Einheit an. Und diese hatten es in sich. Das Gebilde produzierte einen einwandfreien Frequenzgang und ein wunderbares Abstrahlverhalten bis hinunter zu etwa 2 kHz. In diesem Moment war klar, dass ich mit dieser „Treiber/Horn-Kombi“ was machen muss.
Aiyima 19mm Hochtonkalotte an Sica Q07030A Horn (ohne Schallwand)
Je nach Bezugsquelle sind das Horn und die Kalotte zusammen für rund 10,- Euro zu bekommen. Dass sich ein zuspielender TMT preislich nicht zu weit entfernen sollte, liegt auf der Hand. In diesem Zusammenhang erinnerte ich mich an den polnischen Hersteller STX, der einige interessante Chassis in seinem Portfolio führt. Leider sind die anfallenden Portokosten so hoch, dass der eigentlich günstige Preis keinen wirklichen Vorteil bildet. Eine preisliche Alternative wäre der BG20 gewesen, dessen extrem unruhiger Frequenzgang eine Verwendung in einem HiFi Lautsprecher aber selbst dann vereitelt, wenn man „fünf gerade sein lässt“. So kam es, dass die Hochtoneinheit erst einmal ins Regal wanderte.
Kürzlich begab es sich, dass das Klang+Ton Team in ihrer Ausgabe 03/24 im Rahmen eines Chassistests zwei neue Tieftöner des Herstellers Rockwood unter die Lupe nahm. Der größere der beiden, ein 8 Zöller mit der Bezeichnung Rockwood 200, wies einen durchaus brauchbaren Frequenzgang mit einer Sickenresonanz im Bereich 500 Hz auf, und er bringt einen praxisgerechten TSP Satz mit. Schon beim Lesen des Testbereichts kam mir der Gedanke, dass dieses für unter 25,- Euro im Handel erhältliche Chassis der richtige Spielkamerad für die kleine Hochtonkombi sein könnte.
Rockwood 200
Rockwood 200
Der Tiefmitteltöner macht auf den ersten Blick einen ordentlich verarbeiteten Eindruck, und er muss sich hinsichtlich dessen nicht hinter anderen preiswerten Chassis verstecken. Es gibt keine auffälligen Verarbeitungsmängel. Der RW200 verfügt über eine Polkernbohrung, die rückseitig mit einem kleinen Gitter abgedeckt ist. Die Sicke besteht aus solide anmutendem Schaumstoff. Bei Reihenschaltung der Doppelschwingspule mit 2 x 4 Ohm, stellt sich folgender TSP Satz ein. Bemerkenswert sind die sehr geringen Toleranzen zwischen den Chassis. Das ist selbst bei teureren Chassis nicht immer der Fall.
RW 200 gemessene TSP (beide Schwingspulen in Reihe)
RW200 TSP Mittelwert
Mit dem TSP Mittelwert Satz errechnet das VituixCAD Enclosure Tool für eine QB3 BR-Abstimmung ein Gehäusevolumen von rund 32 Litern.
RW200 Gehäusesimulation
Die Simulation des Impedanzverhaltens aus den TSP zeigt ein recht hochohmiges Verhalten mit fast 12 Ohm zwischen den beiden Impedanzhöckern. Dies wird sich später bei der Messung und im beschalteten Zustand bestätigen. Das Verhalten ist somit definitiv nicht einer Überdämpfung des Gehäuses zuzuschreiben.
Für erste Versuche mit dem Hochtöner wurde selbiger mit einer einfachen Holzscheibe, in die eine zentrale Bohrung für den Kühlkörper und vier weitere für die Verschraubung gebohrt wurden, an das Horn geflanscht. Für die einwandfreie Funktion ist eine solche Vorrichtung völlig ausreichend. Mein D.A.U. Freund Rouven meinte aber, dass dies auch schöner geht. So druckte er mir zwei schmucke Adapter mit eingelassenen M3 Gewindebuchsen, um den Hochtöner verschrauben zu können. Der Hochtöner ragt mit seiner Frontplatte ein wenig über die Fräsung hinaus. Bei Verschraubung der Adapter/Hochtöner-Einheit wird diese somit auf das Horn gepresst, was für ausreichende Dichtigkeit sorgt. Wer mag, darf an dieser Stelle gerne Dichtmittel wie z. B. Atmosit aufpinseln.
Adapter zur Befestigung des Hochtöners am Horn
Hochtöner in Adapter montiert
Hochtoneinheit komplett montiert
Rouven war so freundlich, die Druckdatei für den Adapter auf Printables hochzuladen und somit für Interessierte zur Verfügung zu stellen. Dafür herzlichen Dank. Zum Download geht’s über folgenden Button.
Schnell waren Gehäuse in einem ansehnlichen Kompaktformat aufgebaut, in welchen die beiden Chassis in unbeschaltetem Zustand gemessen wurden.
Rockwood 200 unbeschaltet 0° – 90°
Das Chassis misst sich grundsätzlich recht ordentlich. Die Sickenresonanz im Bereich 450 Hz ist nicht schön, aber wir dürfen nicht vergessen, dass es sich um ein sehr preiswertes Chassis handelt. Warten wir einfach ab, wie das Resultat nach Beschaltung aussieht.
Aiyima-Sica Hochtoneinheit unbeschaltet 0° – 90°
Durch den Einbau der Hochton-Kombi in das Gehäuse zeigen sich Effekte von Kantendiffraktion. Durch die dadurch hervorgerufenen Phantomschallquellen weitet es im Bereich um 2kHz ein wenig auf. Der Pegel steigt unter 15° und 30° etwas über den Pegel unter 0° hinaus. Mit seitlichen Fasen könnte man dies ggfs. etwas abmildern, aber auch hier schauen wir im Hinblick auf einfache Nachbaubarkeit, wie sich die Kombination nach Beschaltung verhält.
Eine erste Simulation, bei der ich eine 50/50 Gewichtung zwischen möglichst linearem Achsenfrequenzgang und möglichst glattem Energiefrequenzgang anstrebte, führte zu einem sehr gut klingenden Resultat. Bei einzelnen Musikstücken hatte ich aber den Eindruck, dass es bei gewissen Passagen ein µ zuviel des Guten ist. Im ersten Moment klingt eine solche Abstimmung frisch und spektakulär, aber es bewahrheitet sich in der Praxis immer wieder, dass die Langzeittauglichkeit darunter leidet. In Folge wurde die Beschaltung ohne Änderung der Topologire in ihren Werten so angepasst, dass die Senke im Übernahmebereich minimal größer ausfällt. Das resultierende Energierverhalten wird dadurch erheblich besser. Der Lautsprecher gewinnt die gewünschte Langzeittauglichkeit und ermöglicht stressfreies Hören über viele Stunden hinweg.
Rocky Simulation Achsen- und Energiefrequenzgang
Die Simulation von 0° – 90° zeigt keine besonderen Auffälligkeiten. Das Abstrahlverhalten ist sehr ordentlich, nicht nur gemessen an dem sehr günstigen Preis der Kombination.
Rocky Simulation 0° – 90° (Nahfeld bei 350 Hz gefügt)
Erfreulich ist auch, dass die durch die Sickenresonanz verursachte Senke im Bereich um 450 Hz durch die Beschaltung abgemildert werden konnte. Der Bereich zwischen 600 und 800Hz wurde gleichzeitig ein wenig seiner Energie beraubt. Somit fällt die Störung der Sickenresonanz kaum mehr nennenswert ins Gewicht. Hier wäre sogar noch ein µ mehr an Linearisierung möglich gewesen, aber beim Gedanken an Kosten und Nutzen habe ich das sehr schnell verworfen.
RW200 unbeschaltet vs. beschaltet
Rocky Simulation Achsenfrequenzgang + Zweige
Es war nun an der Zeit, die virtuelle Weiche in die Realität zu versetzen und auf dem bewährten Weichenbrett zu stecken. Die nachfolgenden Messungen verifizieren die Simulationen einmal mehr in eindrucksvoller Weise.
Rocky Messung 0° – 90° (Nahfeld bei 350 Hz gefügt)
Die geringfügigen Unterschiede im Bereich der unterhalb von 350 Hz angefügten Nahfeldmessung ergeben sich durch die Tatsache, dass das Merging für die Simulation im VituixCAD Merger durchgeführt wurde. Bei der Messung geschah dies in ARTA.
Das Impedanzminimum im Bereich der Abstimmung bestätigt das Verhalten aus der Simulation. Durch die Beschaltung und die Bedämpfung steigt der Wert sogar noch ein wenig. Der weitere Verlauf bewegt sich weitgehend oberhalb von 5 Ohm. Jeder ordentliche Verstärker sollte die Rocky antreiben können.
Rocky Impedanzverlauf
Natürlich musste Rocky auch Klirrmessungen über sich ergehen lassen. Auch diese gehen für einen Low Budget Lautsprecher absolut in Ordnung.
Rocky Klirr @ 95dB
Selbstverständlich dürfen bei einem preiswerten Lautsprecher die Kosten für die Weiche nicht ins Uferlose wachsen. Andererseits erfordert die Beschaltung eine gewisse Sorgfalt, um ein wohlklingendes Ergebnis zu erzielen. Aus diesem Grund werden für den Aufbau der Weiche preiswerte Bauteile wie I-Kern Spulen und Luftspulen mit 0,7mm Draht, sowie Elektrolytkondensatoren verwendet. Jedem sollte klar sein, dass es sich bei der Rocky, trotz der optischen Merkmale der Chassis, nicht um einen PA Lautsprecher für Beschallungszwecke handelt, sondern um einen preiswerten Allrounder für HiFi-Anwendungen.
Rocky Weichenschaltung
Natürlich habe ich auch einen Warenkorb mit den notwendigen Weichenbauteilen im Quint-Store mit Preisstand vom 27.05.2024 vorbereitet.
Rocky Frequenzweiche
Um die Kosten für die Weichen so gering wie möglich zu haklten, erfolgte der Aufbau fast komplett mit Komponenten, die ich aus aus alten Fertigweichen ausgelötet habe. Lediglich der blaue 22µF Elko und die beiden 10 Watt Widerstände sind aus meinem Vorrat hinzugekommen.
Das Gehäuse weist keine Besonderheiten auf. Es besteht aus 6 Brettern und 2 kleinen Verstrebungen, die hochkant zwischen Schall- und Rückwand und zwischen den Seitenwänden eingebracht werden. Die Breite der beiden Leistchen ist mit 35mm so gewählt, dass sich die Position im Gehäuse zwischen Schall- und Rückwand von selbst ergibt. Das zweite Leistchen zwischen den Seitenwänden wird unterhalb des ersten Leistchens eingeleimt, so dass sich ein stabiles Versteifungskreuz ergibt.
Rocky Detail Kreuzversteifung
Bau- und Bedämpfungsplan (vergrößern -> rechte Maustaste -> Grafik in neuem Tab anzeigen)
Wie bei all meinen Bauvorschlägen ist der obige Bauplan nicht maßstabsgetreu. Er dient nur zur Illustration der für den Aufbau notwendigen Maße, die selbstverständlich korrekt angegeben sind.
Als Port wurde ein preiswerter Airport 3 von Dynavox verwendet. Dessen Innendurchmesser beträgt 78mm, und er ist 120mm lang. In der Rocky wird er bislang ungekürzt eingesetzt, was sich als sehr angenehm herausgestellt hat.
Dynavox Airport 3
Natürlich kann auch ein beliebiger anderer Port mit annähernd 80mm Durchmesser bei gleicher Länge verwendet werden.
Die Weichen- und Baupläne sind für private Nutzung freigegeben. Jegliche Form der gewerblichen Nutzung oder Verbreitung ohne vorherige Absprache ist untersagt und wird strafrechtlich verfolgt.
Was kann denn so ein Low Budget Lautsprecher eigentlich? Ganz einfach, er spielt Musik, und genau das macht er durch seine sorgfältige Entwicklung richtig gut. Die Rocky spielt sehr neutral, ausgewogen und vollkommen ohne Zisch Bumm. Der Bass ist kräftig und druckvoll, konturiert und sauber. Stimmen werden sehr natürlich wiedergegeben. Unsere beliebten Teststücke klingen alle sehr angenehm und in gewohnter Weise. Storm Warning von Hilary James, die von ihrem famosen Vater Bob James am Piano begleitet wird, klingt auf den Punkt. Hilarys Stimme ist sehr kritisch und wirkt bei einer unglücklichen Abstimmung schnell sägend, oder aber langweilig, wenn der Lautsprecher zu sanft abgestimmt wurde. Ulla Meinecke schickt ihre „Tänzerin“ ins Rennen, und das macht sie richtig toll. Auch Sara K lässt ihre Water Falls perlen. Chris Jones‘ No Sanctuary kommt mit den bekannten Punch, und Hans Theessinks‘ Slow Train fährt mit tollem Groove.
Wagen Sie es, wenn ihnen nach einem preiswerten Lautsprecher ist. Sie werden nicht enttäuscht…
5 Kommentare
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Moin Alex,
spannend …
… nachdem ich gefühlt jede dritte Box aus deiner ohne schmeicheln zu wollen genialen Entwicklerhand nachgebaut habe mal wieder eine neue …? Klar. Zumal ich mir die Hochtöner (anderer China Herstellername) schon mal nebenbei bestellt hatte.
Zuletzt war der Alberich dran. Die Zwerge klingen in einem 16m² Raum wirklich ganz groß, können was und machen einfach nur Spaß. Sie wechseln zwischenzeitlich immer wieder einmal in der Gartenhütte die Tricky ab (für den Musikgenuss per Schallplatte). In dem Zusammenhang auch danke an Roul für die Idee den 3D Adapter zu entwickeln und auch für seinen DIY-Webauftritt. Alex wäre es möglich, hier auf deiner Seite die STL-Datei von Roul zur Verfügung zu stellen? Das hätte bestimmt nicht nur für mich seinen Charm und kostet rein pragmatisch gedacht weniger Zeit für den Nachbau. (Ich freue mich schon auf viele weitere spannende Entwicklungen von dir und der DAU-Gruppe.)
Viele Grüße
Olaf
Autor
Hallo Olaf,
vielen Dank für die Blumen. Was den HT mit anderen Herstellernamen angeht, gilt es ein wenig vorsichtig zu sein. Es existieren leichte Unterschiede, die man auch am Kühlkörper festmachen kann. Ein etwas anderes Modell misst sich fast identisch, jedoch verläuft die Impedanz minimal höher. Ob dies nur Fertigungstoleranzen sind, vermag ich nicht zu sagen.
Hinsichtlich der stl Datei darfst du gerne nochmal den Artikel aufrufen. Rouven hat sie inzwischen bei printables hochgeladen. Im Artikel gibt’s einen Button, der dich zu der Datei führt.
VG Alex
Hallo Alex,
Wird vielleicht den ein oder anderen Interessieren.
Kann man anstatt dem Airport 3 von Dynavox auch ein Bassreflexrohr von Intertechnik BR-50 oder doch lieber BR-70 nutzen ?
Falls ja, welche Länge wäre da zu empfehlen?
Gruß Benni
Autor
Hallo Benni,
das BR-50 ist für einen 8 Zöller viel zu klein. Auch das BR-70 hat eine deutlich kleinere Fläche (ca. 48cm² beim Dynavox zu ca. 36cm² beim BR-70, und ich kann nicht voraussagen, ob das zu Strömungsgeräuschen führt. Wenn du das BR-70 nimmst, müsste das ca. 8,5 cm lang sein. Warum aber nimmst du nicht gleich das vorgesehene? Das kostet doch auch nicht mehr, eher weniger. https://www.ebay.de/itm/400895462001
Gruß Alex
Hey Alex,
Vielen Dank für Deine schnelle und ausführliche Antwort.
Man hat ja so seine Internetseiten, bei denen man seine Hifi Komponenten bezieht und um Porto zu sparen finde ich es immer recht praktisch wenn man gleich alles von einem Händler erhält.
Zudem hab ich sogar noch 1 Paar BR-70 bei mir Zuhause.
Mir gefällt das Projekt Rocky jedenfalls sehr Gut