Gelegenheiten muss man, einer alten Redewendung zufolge, beim Schopf packen. So ergab es sich, dass zwei Paare edler Lautsprecherchassis den Weg in meine Regale fanden. Dass die beiden Chassis wunderbar zueinander passen und die Grundlage für ein tolles Konzept bieten, war auf den ersten Blick offensichtlich. Bei den Tönern handelt es sich um Tiefmitteltöner des innovativen Herstellers Purifi, der seit geraumer Zeit mit seinen optisch kontrovers diskutierten Sicken von sich Reden macht. Jedenfalls handelt es sich bei den PTT6.5×04-NFA-01 um absolute High Tech Produkte.
Purifi PTT6.5×04-NFA-01
Die gemessenen TSP weichen unwesentlich von den Angaben im Datenblatt ab und führen zur quasi identischen Abstimmung.
PTT6.5×04 gemessene TSP
Mit dem obigen TSP Satz verspricht der Sechseinhalbzöller in einem etwa 16 Liter großen Gehäuse Tiefgang bis in Regionen um 35 Hz. Das ist durchaus respektabel.
PTT6.5×04 in 16 Litern BR (mit Roomgain)
In einem ersten Testgehäuse wurde zeigte sich, dass ein 5er Port zu klein ist und, gerade durch den hubfähigen Tiefmitteltöner, zu deutlichen Strömungsgeräuschen neigt. Natürlich hätte man mit einem gekröpften Port experimentieren können, Dieser stiehlt aber recht viel Volumen, und bei der notwendigen Länge wären weitere Störungen und Resonanzen nicht ganz auszuschließen. Folglich wurden Simulationen mit einer Passivmembran durchgeführt. Auch Purufi bietet solche Passivmembranen an, jedoch nur in der Größe 6,5 Zoll, was bei einem nominell gleich großen TMT bedeutet, dass wei PM zum Eisatz kommen müssen. Da aber auf der Rückseite des Lautsprechers ein von außen zugängliches Weichenfach geplant war, schied diese Variante aus. Mit der SP22R bietet der norwegische Hersteller SEAS eine Passivmembran in der nominell eine Größenklasse höheren Kategorie an. Diese führt zu einer nahezu gleichen Performance wie eine klassische BR Abstimmung. Die Unterschiede sind marginal und in der Praxis vernachlässigbar. Mit ihrer hohen Hubfähigkeit von +/- 20 Millimetern steht auch ein hinreichend hohes Verschiebevolumen zur Verfügung. Auch das geplante Weichenfach kann durch den Einsatz dieser PM auf der Rückseite des Lautsprechers Platz finden.
Performance BR (gelb) vs. PM (blau)
SEAS SP22R
Den Hochtonpart übernimmt ein besonderer Leckerbissen des indonesischen Herstellers SB Acoustics. In der TW29BNWG-8 aus der exklusiven Sartori Serie spielt eine Beryllium Kalotte ohne Diffusor auf einen Waveguide. Wie der Purifi Tiefmitteltöner besticht auch dieser Hochtöner durch eine exquisite Verarbeitung und entsprechende Haptik. Entgegen vieler anderer im Handel erhältlicher Waveguides ist das des Satori Hochtöners aus Alu-Druckguss gefertigt.
Satori TW29BNWG-8
Nach Anfertigung eines weiteren Testgehäuses, bei welchem die Passivmembran, sowie ein abgetrenntes Fach für die Frequenzweiche berücksichtigt wurden, konnten überschlägige Messungen eingefangen und eine Vorab-Simulation angefertigt werden. Diese zeigte, dass die Chassis grundsätzlich miteinander harmonieren. Mit diesem Wissen konnte ein befreundeter Möbeltischler mit der Fertigung finaler Gehäuse, welche sich in kleinen Details von den Testgehäusen unterscheiden, beauftragt werden.
Abdeckung Weichenfach
Hintere Gehäuseschale lackiert
Beide Gehäuseschalen und Deckel vom Weichenfach lackiert
Gehäuse fertig aufgebaut und lackiert
Nun war es an der Zeit, die Chassis zu montieren und korrekte Messungen für die finale Simulation anzufertigen.
Messung Purifi PTT6.5×04 unbeschaltet incl. Nahfeld und PM 0°
Messung SB Acoustics Satori TW29BNWG-8 unbeschaltet 0°
Um das generelle Verhalten der beiden Chassis aufzuzeigen, bilden die beiden obigen Grafiken die Messungen der unbeschalteten Töner auf Achse 0° an. Selbstverständlich wurden Messungen von 0° – 90° angefertigt, auf deren Basis die folgende Simulation angefertigt wurde.
Simulation Kaimana 0° + Einzelzweige
Der Achsenfrequenzgang verläuft äußerst linear und lässt keine Wünsche offen. Die sauber und symmetrisch verlaufenden Flanken bilden ihren Schnittpunkt 6dB unterhalb der Summenkurve knapp unter 2 kHz. Eine Bestätigung für eine einwandfreie Phasenlage.
Simulation Kaimana 0° – 90° (Freifeld)
Durch die sehr gewissenhafte Beschaltung zeigt die Kaimana auch unter Winkeln ein einwandfreies Abstrahlverhalten.
Simulation Kaimana Frequenzgang 0° + Energiefrequenzgang (Freifeld)
Im relevanten Bereich ist der Energiefrequenzgang quasi makellos. Natürlich besteht die Möglichkeit, die Energieabgabe im oberen Hochtonbereich durch ein kleines zusätzliches Bauteil etwas anzuheben. Mir persönlich gefällt die obige Variante jedoch besser.
Das Simulationsergebnis schürt Neugierde auf reale Messungen, und so wurden noch am gleichen Tag die entsprechende Weiche gesteckt und der Messrechner mit der ARTA Software gestartet. Inzwischen sollte es sich herumgesprochen haben, dass sich die Simulationen und die späteren Messungen bei sorgfältiger Vorgehensweise gleichen wie ein Ei dem anderen.
Gefensterte Messung Kaimana 0° – 90°
Für die Klirr Fans habe ich auch entsprechende Messungen angefertigt. Da unterschiedliche Auffassungen darüber existieren, wie und in welcher Entfernung Klirr gemessen wird sei angemerkt, dass es sich um Messungen in meinem klassischen Schema handelt, also in einem Meter Entfernung auf Hochtönerebene.
Kaimana Klirr @ 85dB
Kaimana Klirr @ 90dB
Kaimana Klirr @ 95dB
Natürlich ist auch beim Klirr erwartungsgemäß alles in trockenen Tüchern, und somit ist nichts zu beanstanden.
Der Impedanzverlauf weit ebenfalls keine Besonderheiten auf. Er erreicht sein Minimum von rund 4 Ohm im Bereich um 250 Hz. Somit sollte quasi jeder Verstärker die Kaimana antreiben dürfen. Es versteht sich aber von selbst, dass ein Lautsprecher dieser Kategorie nicht mit einem Gimmick-Amp betrieben werden möchte. Im Bereich der Trennfrequenz zeigt sich eine ausgeprägte Glocke, wie sie für einen Zweiweger typisch ist.
Kaimana Impedanzverlauf
Im Bereich der Trennfrequenz zeigt sich eine ausgeprägte Glocke, wie sie für einen Zweiweger typisch ist. Für den Betrieb mit einem Röhrenverstärker bietet es sich an, den Impedanzverlauf der Kaimana zu linearisieren. Die Abstimmung der Passivmembran liegt mit einem Zusatzgewicht von 55 Gramm bei etwas über 35 Hz. Zur Beschwerung der PM habe ich diverse Karosserie- und Unterlegscheiben benutzt. (Eine genaue Auflistung folgt noch.)
Mutter DIN 9021 verzinkt M14 (Außendurchmesser 44mm)
Diese wiegen je 31,3 Gramm. Eine weitere kleine Unterlegscheibe, welche die 14mm Bohrung abdeckt führt zu einem Gesamtgewicht von rund 65 Gramm. Die Unterlegscheiben werden auch unverzinkt mit einem Gewicht von je 28,33 Gramm angeboten. Ggfs. sind dann zwei weitere kleine, bzw. eine schwerere zusätzliche Unterlegscheibe notwendig. Die Unterlegscheiben sollten zur besseren Stabilität miteinander verklebt werden. Natürlich sind auch andere Stückelungen möglich. Hier besteht selbstverständlich auch die Möglichkeit, eigene Experimente durchzuführen. Bei Verwendung eines etwas kleineren Zusatzgewichts verringert sich der Tiefgang, der Pegel steigt dafür etwas an.
Die Frequenzweiche wurde aus hochwertigen Bauteilen aufgebaut. Auf den Einsatz überteierter Voodoo Komponenten wurde jedoch bewusst verzichtet, da deren Vorteil lediglich darin liegt, die Kasse des Händlers schneller zu füllen. So kommt im direkten Signalweg des Tiefpasses eine hochwertige Luftspule aus 1mm Backlackdraht zum Einsatz. Bei allen Kondensatoren handelt es sich um Folientypen, die ich selektiert habe, teilweise bis auf die 2. Stelle hinter dem Komma. Alle Bauteile wurden in bewährter Manier auf einem Brettchen positioniert und befestigt. Die Verdrahtung der Komponenten konnte, bis auf eine Ausnahme, ohne weiteres Kabelmaterial erfolgen. Lediglich für die Ein- und Ausgänge waren zusätzliche Zuleitungen erforderlich. Die Ein- und Ausgägne selbst wurden mit den bewährten Wago Klemmen ausgeführt, welche hervorragenden Kontakt bei geringstem Überganswiderstand bieten.
Kaimana Frequenzweiche
Ein Bau- und Bedämpfungsplan, die Schaltung der Weiche und ein Warenkorb folgen in Kürze.
Stay tuned…
2 Kommentare
Hi Alex,
ist Dir bewusst, dass es diese Speaker praktisch schon zu kaufen gibt?
Schau mal hier:
https://www.marchaudio.com/product/sointuva-wg-speaker/?v=3a52f3c22ed6
Und hier ein Review mit Messungen:
https://www.erinsaudiocorner.com/loudspeakers/march_audio_sointuva/
Ich freue mich schon sehr auf den Nachbau der Kaimana! Die sind auf meiner Bucket Liste!
Viele Grüße,
Stefan
Autor
Hallo Stefan,
der von dir genannte Fertiglautsprecher ist mir bekannt. Ich habe ihn aber erst entdeckt, nachdem ich meine Entwicklung begonnen habe. Auch den Artikel von Erin habe ich inzwischen gelesen. Der Lautsprecher ist aber anders abgestimmt, so dass es sich lediglich um identische Chassis handelt. Die Abstimmung scheint nicht ganz so sauber geungen zu sein. Das Abstrahlverhalten ist um ein gutes Stück ungleichmäßiger.
Viele Grüße, Alex