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Ball Pen

Neulich bot mein Freund Rouven aus dem D.A.U. an, seine derzeit nicht genutzten Chassis für Entwicklungszwecke zur Verfügung zu stellen. In seinen Regalen befand sich ein Pärchen Peerless GBS-115N25AL01-04, dessen kleinere Schwestern bereits in der Three-Sixtyfive eine mehr als nur gute Figur machen. Ein schneller Blick ins Datenblatt offenbarte einen gutmütigen Frequenzgang und eine schnelle Simulation mit dem MJK-Sheet versprach eine sehr gute Performance in einer nur 75 cm kurzen TQWT.  Der liebe Rouven durfte die kleinen Chassis verpacken und an mich senden. Derweil verschwand ich in meiner Werkstatt, um das simulierte Gehäuse aus noch vorhandenen Plattenresten aufzubauen. Die Fräsung für den GBS-115 wurde nach Datenblatt „frei Hand“ gefertigt. Für die noch in meinem Vorrat befindliche, zunächst als Spielpartner vorgesehene DX-20 Hochtonkalotte konnte ich den Fräsdurchmesser von 66 mm am lebenden Objekt abnehmen.

Peerless GBS-115N25AL01-04

 

Haptisch ist der kleine Chinese mit seiner Alumimiummembran und dem sauber gefertigten Korb einwandfrei. Auch seine TSP können sich sehen lassen:

TSP

  • Fs: 89 Hz
  • Mms: 9,3 g
  • Cms: 0,34 mm/N
  • Sd: 56 cm²
  • Re: 3,19 Ohm
  • Le: 0,25 mH
  • B/L: 4,3 N/A
  • Vas: 1,6 L
  • Qms: 3,5
  • Qes: 0,85
  • Qts: 0,68
  • SPL: 85 dB @ 2,83V

 

Damit lässt sich in einer kleinen, nur 75 cm langen TQWT eine Basswiedergabe erreichen, die durchaus als solche bezeichnet werden darf. Natürlich darf man nicht erwarten, dass ein 4″ TMT zu Pegelorgien fähig ist. Aber für mehr als Zimmerlautstärke reichen die Reserven des GBS115 auf jeden Fall. Das kleine Vas führt dazu, dass die notwendigen Querschnitte sehr klein werden. Daraus resultiert ein recht schmales längliches Gehäuse, welches an einen Stift erinnert. Die Membran des Tiefmitteltöners bildet quasi ein halber Ball. Der kleine Lautsprecher erhält deswegen den Namen „Ball Pen“.

GBS-115N25AL01-04 in 75 cm TQWT

 

Tiefgang bis Mitte 50 Hz hinab verspricht die Simulation mit dem MJK Sheet, deren Übereinstimmung mit der Realität in der Vergangenheit vielfach eindrucksvoll unter Beweis gestellt wurde.

Leider wollte jedoch die ebenfalls von Peerless stammende Hochtonkalotte DX-20 überhaupt nicht mit dem Tiefmittelton-Dome harmonieren. Der Kurzwaveguide lädt erst ein gutes Stück oberhalb der Trennfrequenz, was zu einem nicht vertretbaren Bruch im Abstrahlverhalten führt.

Simulation Ball Pen 0° – 90° mit Peerless DX-20

 

Da das Projekt aber im Bassbereich vielversprechend war, richtete sich der Blick nach einem alternativen Hochtöner. Dieser musste mechanisch so klein sein, dass er in dem Gehäuse oberhalb des GBS-115N25AL01-04 Platz findet. Einmal mehr wurde ich bei Sica fündig. Mit der LP 66.25/N14 TW bieten die Italiener eine 25 mm Kalotte an, deren Frontplatte 66 mm durchmisst und somit exakt in die Fräsung der DX-20 passt.

Sica LP 66.25

 

Mit einem Preis von rund 25,- Euro passt der kleine Italiener hervorragend zu dem Peerless Tiefmitteltöner. Bleibt zu hoffen, dass die zu erzielende Abstrahlung keinen Strich durch die Rechnung macht. Eines der Ziele bei der Entwicklung  war es nämlich, mal wieder einen Lautsprecher ohne die akustisch so sinnvollen schrägen Fasen aufzubauen.

Jedenfalls verspricht die Simulation, die diesmal mit Vituixcad durchgeführt wurde, ein deutlich besseres Ergebnis als mit der DX-20.

Simulation Ball Pen 0° + Zweige

 

Auf Achse zeigt der Hochtöner eine leichte Senke bei rund 6 kHz und eine schmalbandige Kerbe bei etwa 15 kHz. Der kleine Pickel bei etwa 500 Hz rührt von einer Fertigungstoleranz des Testgehäuses. Die Auflagefläche des GBS-115 und der innere Fräskreis sind nicht optimal. Über das Anziehen der Verschraubungen lässt sich das Problem minimieren. Auf saubere Fertigung ist beim Gehäusebau, zumindest an diesem Punkt,  unbedingt zu achten. Die Auflagefläche des GBS-115 ist im Bereich der geraden Seiten sehr schmal.

Simulation Ball Pen 0° – 90°

 

Unter Winkeln mitteln sich diese Punkte sehr schön aus. Das Abstrahlverhalten des gesamten Lautsprechers ist mit der LP 66.25 deutlich besser und wird für ungetrübten Hörgenuss sorgen.

Ball Pen gefensterte Messung 0° – 90°

 

Die nach dem Stecken der Frequenzweiche und Optimierung des Einbaus beim TMT durchgeführten Messungen stimmen mit der Simulation quasi überein.

Ball Pen gefensterte Messung 0° + Einzelzweige

 

Schön symmetrisch verlaufende Flanken zeigen eine Trennfrequenz etwas oberhalb von 2,2 kHz mit Phasen idealem Schnittpunkt 6 dB unterhalb der Summenkurve. Nach vielen Versuchen stellte sich bei dieser Frequenz das bestmögliche Zusammenspiel der beiden Chassis im Hinblick auf das Abstrahlverhalten unter Winkeln ein. Die Empfehlung aus dem Sica Datenblatt, den HT ab 2,5 kHz einzusetzen, wurde hier ein wenig unterschritten. Der erreichbare Maximalpegel wird in der Ball Pen klar vom GBS-115 definiert, so dass hier keinerlei Probleme zu erwarten sind.

Ball Pen Messung 0° gefügt incl. Nahfeld, Port und Impedanzverlauf (Freifeld)

 

Der gemessene Freifeldfrequenzgang der Ball Pen bestätigt die Funktion der TQWT nach MJK-Simu.

Wie bereits erwähnt resultiert durch den TSP Satz des Chassis eine TQWT mit recht kleinen Querschnitten. Obwohl die Breite des Gehäuses schon sehr schmal gewählt wurde, bleibt es in seiner Tiefe eher flach. Hier machen wir aus der Not eine Tugend. Der Korpus des Gehäuses wird einfach ein Stück nach hinten verlängert, so dass sich eine einspringende Rückwand ergibt. Dadurch ergibt sich einerseits ein Fach für die Frequenzweichenbauteile. Andererseits bietet diese Bauweise einen entscheidenden Vorteil bei der Montage des Ports. Dieser ist nämlich mit gut 8 cm so tief, dass er bei konventionellem Einbau ein Tête-à-Tête mit dem Teiler eingehen würde. Eine kleine, aus zwei zusätzlichen Brettchen gebildete Konstruktion im unteren Bereich erlaubt es, den Port so einzubringen, dass er ideale Bedingungen vorfindet.

Ball Pen Faltung TQWT und Einbausituation des Ports

 

Als Port wurde ein Abschnitt eines DN40 Rohres aus dem Sanitärbereich verwendet. Dieses läuft im Gegensatz zu den meisten angebotenen BR-Ports nicht konisch zu, wodurch der Einbau in die doppelwandige Konstrultion deutlich vereinfacht wird. Es werden lediglich zwei identische Ausschnitte mit einer Lochsäge erforderlich. Dabei ist unbedingt darauf zu achten, dass der Ausschnitt bei der innenliegenden Rückwand bereits vor dem Zusammenleimen anzubringen ist. Beim  Testaufbau wurde mit einer 38 mm Lochsäge gearbeitet und später mit grobkörnigem Schleifpapier aufgeweitet. So kann man sich dem nötigen Durchmesser schrittweise nähern, ohne ein Übermaß zu produzieren. Beim hier gezeigten Testgehäuse sitzt das Rohr so stramm, dass weitere Abdichtungen nicht notwendig sind.

 

Ball Pen Detail Port

 

Ball Pen Gehäuse offen

 

Die Weichenschaltung konnte sehr einfach ausgeführt werden. Der Tieftonzweig besteht aus einem simplen 12dB Filter, dessen dem Parallelkondensator nachgeschalteter Widerstand ein wenig Energie aus dem Bereich der abfallenden Flanke nimmt. Ein Saugkreis erledigt die finale Glättung. Im Hochpass übernimmt ebenfalls ein 12 dB Filter die Arbeit. Ein Spannungsteiler sorgt für korrekte Pegelverhältnisse.

Ball Pen Weichenplan

 

Warenkorb für die Weichenteile der Ball Pen im Quint-Store (Preisstand 05.10..2020)

 

Ball Pen Bau- und Bedämpfungsplan (vergrößern -> rechte Maustaste – Grafik anzheigen)

 

Die Weichen- und Baupläne sind für private Nutzung freigegeben. Jegliche Form der gewerblichen Nutzung oder Verbreitung ohne vorherige Absprache ist untersagt und wird strafrechtlich verfolgt.

Wie klingt es denn nun? Ausgewachsen, verdammt ausgewachsen. Eine so voluminöse Wiedergabe erwartet man von einem so kleinen Lautsprecher mit dieser schlanken Silhouette eher nicht. Der Klang ist dem Abstrahlverhalten entsprechend sehr ausgewogen. Die beiden Chassis machen ihre Arbeit sehr gut. Die Stimmenwiedergabe ist ausgezeichnet und sehr realistisch. Die Ball Pen baut eine breite Bühne mit schöner Tiefe auf. Alles ist sehr gut ortbar. Jedes Instrument steht am gewohnten Platz. Alles in allem ein feiner, kleiner Lautsprecher.

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