Seien wir doch einfach mal ehrlich. Haben wir nicht alle in den Anfängen unseres Hobbys versucht, die Frequenzweiche unseres Traumlautsprechers mittels eines der vielen online zu findenden Frequenzweichenrechnern zu entwickeln? Ich kann sogar so lange zurückblicken, dass ich mich noch an die manuelle Anwendung des Formelwerks erinnere, auf deren Basis diese Rechner allesamt basieren.
Das Gute an diesen Formeln und Rechnern ist, dass sie einwandfrei funktionieren. Dumm ist, dass sie das leider nicht bei der Entwicklung von Frequenzweichen tun und somit unbrauchbar sind.
Soll das nun bedeuten, dass Frequenzweichenrechner funktionieren, gleichzeitig aber nicht funktionieren? Es mag verrückt klingen, aber leider ist genau das der Fall.
Der folgende Artikel erklärt nicht, welche Wege und Schritte erforderlich sind, um eine funktionierende Frequenzweichenabstimmung durchzuführen. Er soll lediglich am einfach skizzierten Beispiel eines 2-Wege Lautsprechers aufzeigen, dass eine berechnete Weiche in der Praxis nicht funktionieren kann.
Die Frequenzweichenrechner bedienen sich eines Formelwerks aus der Elektrotechnik. Vorgesehen sind diese Formeln für die Berechnung von Filtern mit konstanten Lastwiderständen. Genau diese bringt ein Lautsprecherchassis aber nicht mit. Die bei einem Lautsprecherchassis angegebene Nennimpedanz bezieht sich nach Definition auf die Impedanz, die das Chassis bei 1kHz aufweist. Allerdings wird dieser Wert in der Praxis nur selten eingehalten. Gerade bei Tieftönern liegt die Impedanz bei 1kHz bereits vielfach höher.
Typischer Impedanzverlauf eines 8 Ohm Tieftöners
Allein die obige Grafik sollte schon erklären, dass eine Frequenzweiche, die mit einem Onlinetool für eine angenommene Trennfrequenz von 2,5 kHz und ein Chassis mit 8 Ohm Nennimpedanz berechnet wurde, nicht wie gewünscht funktionieren wird.
Es gibt aber noch weitere Parameter, die ein Frequenzweichenrechner nicht einbezieht. Denn natürlich hat ein Lautsprecherchassis auch einen Amplitudenverlauf über die Frequenz. Dieser „Frequenzgang“ ist, genau wie der Impedanzverlauf, auch nicht linear. Dumm ist, dass der Frequenzweichenrechner das nicht weiß. Brav wie er ist, geht er nämlich von vollkommener Linearität des Chassis aus.
Frequenzgang eines unbeschalteten Tieftöners in unendlicher Schallwand
Wie wir sehen, verläuft dieser Tieftöner zwar in seinem vorgesehenen Frequenzbereich recht linear, aber an seinem oberen Ende neigt er zu unschönen und gutem Klang nicht zuträglichen Resonanzen.
Betrachten wir nun einen typischen Kalotten Hochtöner, den wir im weiteren Verlauf dieses virtuellen Projekts zusammen mit dem obigen Tieftöner zu einem 2-Wege Lautsprecher vereinen wollen.
Impedanzverlauf eines 8 Ohm Hochtöners
Frequenzgang eines unbeschalteten Hochtöners in unendlicher Schallwand
Es kommt aber noch ein weiterer Parameter hinzu, den ein Weichenrechner nicht berücksichtigen kann. Die oben gezeigten Frequenzgänge von Tieftöner und Hochtöner entsprechen dem Einbau in eine unendliche Schallwand. Diese muss man sich, wie der Name sagt, unendlich groß vorstellen. In der Praxis wollen wir die Chassis aber in ein schmuckes Gehäuse mit Wohnraum tauglichen Maßen einbauen. Und, wir vermuten richtig, dieses verbiegt die Frequenzgänge der Chassis auch noch einmal. Beim Hochtöner ist der Unterschied nicht ganz so dramatisch, aber beim Tief(mittel)töner wirkt sich das drastisch aus.
Frequenzgang des o. g. Tieftöners in 24cm breiter Schallwand
Wie wir sehen, verliert der Tieftöner unterhalb von 500 Hz deutlich an Schalldruck. Im Mitteltonbereich kommt es hingegen zu einer Überhöhung.
Frequenzgang des o. g. Hochtöners in 24cm breiter Schallwand
Auch hier können wir eine Veränderung feststellen, die aber nicht so deutlich ins Gewicht fällt, wie es beim Tief(mittel)töner der Fall ist.
Im nächsten Schritt wagen wir uns an einen der gängigen Frequenzweichenrechner. Der Bequemlichkeit halber wählen wir den Rechner aus der Software Boxsim. Wir tragen 2500 Hz als gewünschte Trennfrequenz ein. Sowohl für den Tieftöner, als auch für den Hochtöner wählen wir 8 Ohm Impedanz.
Weichenrechner mit Ausgabe der Werte für eine Trennfrequenz von 2,5kHz
Der Rechner bietet die Möglichkeit, Weichen mit 4 unterschiedlichen Flankensteilheiten zu berechnen. In unserem Beispiel werden wir eine Weiche 2. Ordnung und eine mit 3. Ordnung aufbauen. Das sind die beiden in der Praxis am häufigsten vorkommenden Typen.
Zunächst simulieren wir die Weiche 2. Ordnung, die sogenannte 12dB Weiche nach der obigen Ausgabe
Weiche 2. Ordnung (12dB)
Der resultierende Frequenzgang kommt einem Bergpanorama gleich
Frequenzgang nach Beschaltung mit Weiche 2. Ordnung (12dB) aus dem Rechner
Der Frequenzgang steigt von den Bässen bis zu den Höhen um ca. 10dB an. Im Mitteltonbereich schlagen die heftigen Resonanzen des Tiefmitteltöners nahezu ungefiltert durch und überragen mit ihrer Spitze den ohnehin zu hohen Pegel nochmal um weitere 8dB. Der Lautsprecher wird bassarm sein und die durschschlagenden Resonanzen sorgen dafür, dass man sich von dem Lautsprecher angeschrien fühlt.
Frequenzgang mit Zweigen nach Beschaltung mit Weiche 2. Ordnung (12dB) aus dem Rechner
Die Zweige zeigen, dass die avisierte Übergangsfrequenz von 2,5 kHz nicht annähernd eingehalten wird. Der Hochtöner fällt erst unterhalb von etwa 1,5 kHz ab. Der Tief(mittel)töner reicht bis über 5 kHz, wobei seine Resonanzen quasi ungebremst ihr Unwesen treiben.
Simulieren wir halt einfach die Weiche 3. Ordnung (18dB) und schauen, ob die theroetisch steilere Trennung zu einem besseren Ergebnis führt.
Weiche 3. Ordnung (18dB)
Auch die steilere Beschaltung führt nicht zu einem wesentlich besseren Verhalten
Frequenzgang nach Beschaltung mit Weiche 3. Ordnung (18dB) aus dem Rechner
Auch mit dieser Weiche schlagen die Resonanzen des Tief(mittel)töners durch, wenn auch nicht mehr ganz so stark wie bei der flacheren Weiche 2. Ordnung (12dB).
Frequenzgang mit Zweigen nach Beschaltung mit Weiche 3. Ordnung (18dB) aus dem Rechner
Auch hier zeigen die Einzelzweige die unzureichende Filterung, die diese einfache Weiche aus dem Rechner bewirkt.
Gleiches gilt übrigens auch für die vielerorts angebotenen Fertigweichen. Die darauf enthaltenen Filter sind, wenn überhaupt, ebenfalls nach dem gängigen Formelwerk dimensioniert.
Das nachfolgende Beispiel soll aufzeigen, wie der Lautsprecher mit einer durchentwickelten Frequenzweiche und einer sinnvoll gewählten Übergangsfrequenz funktionieren könnte, ohne jedoch in dieser Abhandlung näher auf die Entwicklung eingzugehen.
Frequenzgang mit optimierter Weiche
Die zugehörige Weichenschaltung ist nicht mit einem Weichenrechner ermittelbar, aber grundsätzlich immer noch als relativ einfach zu bezeichnen.
Frequenzweiche optimiert
Wir haben nun gelernt, dass es unmöglich ist, einen gut funktionierenden Lautsprecher mit einer Frequenzweichenschaltung aus einem Rechner oder einer Fertigweiche aufzubauen. Diese Rechner arbeiten so lange genau, wie man sie für rein elektrische Schaltungen mit konstanten Lastwiderständen einsetzt. Da sie aber die akustischen Eigenschaften der einzelnen Chassis und die Einflüsse, die das Lautsprechergehäuse mitbringt, nicht berücksichtigen können, führen Berechnungen mittels solcher Rechner zu extremen Fehlfunktionen. Immer und ohne Ausnahme.
Wer wirklich daran interessiert ist, seine Lautsprecher selbst zu bauen, sollte entweder auf einen der vielen ausgereiften und durchentwickelten Bausätze zurückgreifen. Wenn der Lautsprecherbau aber zum Hobby werden soll, kommt der geneigte Interessent nicht umhin, sich in die Materie einzulesen und Messtechnik anzuschaffen.
14 Kommentare
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1. Also, habe ich die Sicherheit, dass die gekaufte Weichen (für die Bausätze) richtig gebaut sind ?
2. Ist es möglich eine Weiche mit 50 dB effektiv zu bauen ?
Danke für die Antwort
Autor
1. Das hängt davon ab, mit welcher Sorgfalt die Weichen zusammengebaut wurden. Das allein sagt aber über die Qualität eines Bausatzes nicht aus.
2. Das kann durchaus möglich sein. Aus eigener Erfahrung kann ich es aber nicht sagen.
Gruß
TYR
….endlich mal ein kleiner Beitrag,der den Blick weitet und der Akustik eine Chance gibt.
Vielen Dank für die mutigen Worte.
Gruß aus Kärnten
Autor
Herzlichen Dank…
Ohne dass der Beitrag meine eigentlichen Fragen beantwortet hat, sind jetzt alle Unklarheiten beantwortet und alle Fragen aus dem Weg geraeumt. Danke 🙂
Autor
Interessanter Kommentar. Danke…
Schöner Beitrag.
Half mir ebenfalls etwas Klarheit zu verschaffen.
Habe letztens einen Bluetooth Lautsprecher mit Dayton Chassis gebaut.
Die mit einem online Tool berechnete Weiche klingt echt mau.
Habe mich nun etwas mit VituixCAD beschäftigt, aber auch noch keine guten Ergebnisse erzielen können. Wie im Beispiel oben, habe ich diese Bergstruktur. Ich werde auch mal eine 18dB Weiche versuchen.
Danke für den Artikel, sehr interessant, die Gründe sind einleuchtend. Kann man an den Frequenzweichenbau methodisch herangehen, oder ist da eher Erfahrung und Intuition gefragt (ich vermute beides)? In welche Grundlagen müsste man sich einlesen, und welche Messtechnik müsste man dazu anschaffen?
Autor
Hallo Michael,
die Entwicklung einer Frequenzweiche gelingt natürlich besser, wenn eine gewisse Portion Erfahrung im Spiel ist. Intuition kommt dann wie von selbst ins Spiel. Messtechnik ist unabdingbar, um für Simulationen verwertbare Dateien zu generieren. Ich selbst verwende ein hochwertiges Messmikrofon welches trotz hoher Grundgenauigkeit zusätzlich noch über ein Korrekturfile verfügt, einen Mikrofonvorverstärker, eine umschaltbare Messbox, eine USB Soundkarte, sowie die Software ARTA. Es gibt alternative Software, wie z. B. REW. Da hat jeder seine eigenen Vorlieben.
Gutes Gelingen und viele Grüße,
Alex
Hallo Alex,
ein großartiger Beitrag ! Tausend Dank, für die viele Mühe.
Durch den Beitrag begebe ich mich gerade in eine gewisse Ernüchterung,
was die Berechnungen der idealen Frequenzweiche betrifft.
Ich versuche gerade einen E-Gitarren-Verstärker mit einem Hochtöner auszustatten, um
meine Akustik-Gitarre verwenden zu können.
Er normale Frequenzgang für E-Gitarren- Lautspreche geht meistens nicht über 5000Hz hinaus.
(Soll und muss er auch nicht)
Das Experiment funktioniert bereits schon einigermaßen brauchbar mit einem C von 1µF in Reihe
zu einem Piezzo-Hochtöner. Der Sound gefällt mir aber nicht besonders und ich werde es einmal mit einem
guten 8 Ohm Horn Hochtöner probieren.
Lieben Dank, noch mal für den tollen Beitrag !!!
Viele Grüße, Friedhelm
welchen Wert hat die mit 50mikr0H bezeichnete Spule im Tiefpass? o,5mH?
Wolfgang
Autor
Hallo Wolfgang,
der Spulenwert in dem Beispiel beträgt 50µH, also 0,05mH.
Gruß Alex
Hallo Alex
Würde sich denn ein iterativer Trial-and-Error Ansatz zur Frequenzweichen-Entwicklung anbieten? D.h. per Simulation mal eine initiale Schaltung erstellen (primär zur Festlegung der Trennfrequenzen) und dann in der Box messen. Anschliessend die lokalen „Unebenheiten“ mittels Korrekturen (veränderter Werte, Saugkreise hinzufügen, …) angehen und wieder messen. Oder wird man damit nur Bauteile und Kosten anhäufen ohne je auf ein gutes Resultat zu kommen?
Was hältst du eigentlich von DSP-Boards (https://auverdion.de/aurora-dsp/), die als programmierbaren Ersatz für die Frequenzweiche verwendet werden (d.h. jedes Chassis wird einzeln von einem Kanal des DSP angesteuert)?
Grüsse
André
Autor
Hallo André,
genau das ist es ja, was der Artikel beschreibt. Es ist notwendig, Messungen der unbeschalteten Chassis durchzuführen. Ob man sich dann eines Simulationstools bedient, oder ob man nach dem Try and Error Verfahren weiter arbeitet, spielt keine Rolle. Eine Simulation beschleunigt den Vorgang, da i. a. R. nicht oder nur im Detail nachgearbeitet werden muss. Natürlich kann man auch einen DSP einsetzen, wenn man das mag und Vorteile darin sieht. Das ist aber nicht Inhalt dieses Artikels.
Viele Grüße, Alex