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Amiga 26 PM – Projekt mit Vintage RFT Chassis

Kennen Sie das Gefühl, etwas unbedingt ausprobieren zu müssen? Vor allem dann, wenn es sich um etwas handelt, das seit ewigen Zeiten einen guten Ruf genießt und noch dazu ein Relikt aus längst vergangenen Tagen ist? Jedenfalls ging es mir immer dann so, wenn ein Gespräch sich in Richtung der BR25 / BR26 Lautsprecher des volkseigenen Betriebes „Statron Fürstenwalde“ entwickelte. Nur woher nehmen, und nicht stehlen? Die Preise, die inzwischen für restaurierte Exemplare aufgerufen werden, überflügeln meine für einen Versuch nicht sehr hoch angesiedelte Schmerzgrenze bei weitem.  Also erwarb ich für einen schmalen Taler ein Pärchen bestens erhaltene Hochtöner des Typs L7104.

RFT L7104

 

Ein quasi zum Fielmann-Tarif ergattertes Paar BR25E in traurigem Zustand hielt ebenfalls kurze Zeit später Einzug in meinen Messraum. Dessen Hochtonkalotten waren optisch ziemlich verranzt, und auch die Tiefmitteltöner L7102 wirkten mit ihren zerbröselten Sicken und den ausgeblichenen und stark angestaubten Membranen nicht mehr sehr lebhaft.

RFT L7102 (Zustand bei Anlieferung)

 

Eine kurze Messung ergab, dass die beiden Tiefmitteltöner elektrisch einwandfrei waren. So stand einer grundlegenden Restaurierung der kleinen Schätzchen nichts im Wege. Zunächst wurden die Sicken entfernt und sämtliche Rückstände der Verklebung auf der Membran und dem Korb entfernt. Im folgenden Schritt wurde das gesamte Chassis entstaubt, und es erfuhr eine bestmögliche Reinigung. Nun konnten Membran und Dustcap neu gefärbt werden. Dafür eignet sich Edding Nachfülltinte hervorragend. Sie trocknet ultraschnell und versetzt Membranen in ein neuwertiges Aussehen. Die Anschlußfähnchen, die sich nach all den Betriebsjahren gelockert hatten, wurden neu befestigt. Das geht perfekt mit Kunststoffschrauben der Größe M2, deren Muttern mittels eines Tropfens Sekundenklebers gesichert wurden. Neue Sicken von Audiofriends.nl machten schlussendlich aus den hässlichen Entlein schöne Schwäne.

 

RFT L7102 nach Restaurierung

 

Die gemessenen TSP Sätze der beiden restaurierten Chassis sind recht nah beieinander, und auch die Impedanzverläufe zeigen keine Auffälligkeiten.

TSP RFT L7102 (1)

 

TSP RFT L7102 (2)

 

TSP RFT L7102 (Mittelwerte)

 

Bei der originalen  BR25E sitzen sowohl die Hochtöner als auch die Tiefmitteltöner nicht mittig auf der Schallwand. Leider sind zudem die Schallwände des Lautsprecherpaares nicht asymmetrisch zueinander aufgebaut, was zu unterschiedlichem Abstrahlverhalten in Richtung Hörplatz führt. Natürlich habe ich die restaurierten Chassis in das originale BR25E Gehäuse geschraubt und eine Weile angehört. Tonal sind die Lautsprecher recht gut, für eine Entwicklung, die mehr als 30 Jahre alt ist, sogar sehr gut. Natürlich hätte ich bei den bestehenden Gehäusen lediglich die Schallwände erneuern und diese asymmetrisch gestalten müssen. Warum aber nicht ein eigenes Konzept um die qualitativ sehr guten Chassis herum schneidern?

Genau das habe ich getan. Simulationen haben ergeben, dass der L7102 in einer etwa 11 Liter fassenden BR-Behausung hervorragende Ergebnisse liefert und die 50 Hz Marke kreuzt.

RFT L7102 in 11 Litern BR

 

Rein aus Interesse habe ich auch Simulationen für die Verwendung einer Passivmembran vorgenommen. Interessant ist, dass sich das Chassis nicht mit einer  6,5″ PM zufrieden gibt. Erst mit einer PM im 8″ Format lässt sich die der BR-Variante vergleichbare Performance erreichen. Bei den Versuchen mit reinen PM und mit als PM missbrauchten, preiswerten 8″ Chassis stellte sich sehr schnell heraus, dass der Visaton BG20 zum besten Ergebnis führt. Der Zufall wollte, dass ich davon seit Jahren ein zwar schon leicht ausgeblichenes, technisch aber neuwertiges Paar im Regal liegen hatte. Dieses hatte ich vor vielen Jahren für ein Projekt angeschafft, welches ich nicht fertiggestellt habe. In meinen Augen ist der BG20 zwar grundsolide gemacht, aber für HiFi Zwecke nicht gedacht und eher ungeeignet. Er eignet sich eher als Chassis für Hintergrundbeschallung, als Durchsagelautsprecher, oder eben als Passivmembran. Die in der Simulation angegebenen TSP des BG20 wurden selbst ermittelt und weichen von denen im Datenblatt recht stark  ab.

RFT L7102 in 11 Litern mit BG20 als PM

 

Noch bevor ich mit akustischen Messungen anfing, wollte ich verifizieren, dass die Realität mit der obigen Simulation übereinstimmt. Also wurde der schnöde BG20 flugs seines schönen Magneten beraubt. Vor Montage der so geschaffenen Passivmembran habe ich provisorisch 40 Gramm Plastik Fermit in den Schwingspulenträger eingebracht. Für einen schnellen Test musste das ausreichen. Im Gegensatz zu der Vorgehensweise bei der Minimo wurde die Zentrierspinne nicht weiter bearbeitet. Schließlich wollen die zusätzlichen 40 Gramm Masse im Zaum gehalten werden.

BG20-PM mit 40 Gramm Plastik Fermit (noch nicht entstaubt)

 

Das Zusatzgewicht habe ich auf recht pragmatische Art und Weise hergestellt. Dazu habe ich den geschlachteten BG20 auf meine Feinwaage verfrachtet und den Schwingspulenträger mit Heißklebemasse bis knapp unter den Rand gefüllt. Das damit geschaffene Zusatzgewicht betrug 12,5 Gramm.

Hilfskonstruktion zur Ermitlung des Zusatzgewichts

 

Zusatzgewicht aus Klebemasse und M8 x 60mm Schraube

 

Zusätzliche Masse von 37,4 Gramm

 

In die noch heiße, flüssige Masse habe ich sodann eine M8 Schraube mit 60mm Länge gesteckt. Einer der üblichen Gewichtstabellen kann man entnehmen, dass eine solche Schraube ca. 25 Gramm wiegt, was zu einem kompletten Zusatzgewicht von rund 37,5 Gramm führt. Natürlich hätte man die Schraube auch vor dem Einbringen der Klebemasse mit dem Kopf nach unten in den Träger einführen können. Da aber nicht bekannt war, wie schwer die Heißklebemasse sein würde, habe ich diese Variante gewählt. Die Schraube sitzt nach dem Erkalten der Klebemasse bombenfest. Weiterhin habe ich den Schwirrkonus des BG20 entfernt und durch eine 80mm durchmessende, recht stabile Dustcap ersetzt. Insgesamt konnte ich mich den als optimal simulierten 40 zusätzlichen Gramm mit dieser Maßnahme hinreichend genau nähern.

Um es kurz zu machen, Simulation und Realität stimmen sehr genau überein. Die Abstimmfrequenz liegt im Bereich von knapp 55 Hz. Der Verlauf der Impedanzkurve zeigt keine Auffälligkeiten. Genau so sollte es sein.

Impedanzverlauf L7102 mit PM unbeschaltet

 

Zunächst aber zurück an den Anfang, als die unbeschalteten Chassis  in ihrem Gehäuse gemessen wurden. Nach erfolgter Messung wurden die gewonnenen Daten in das  bewährte Simulationsprogramm Xover importiert.

L7102 unbeschaltet

 

L7104 unbeschaltet

 

Die Messungen zeigen, dass die Chassis sich auch vor modernen Konstruktionen nicht verstecken müssen. Der Dip bei rund 4 kHz, der sich schon ansatzweise in der Achsenmessung zeigt, wird unter Winkeln dominanter und muss in der Beschaltung berücksichtigt werden. Dies ist ein Chassis immanentes Phänomen, das sich auch in der Messung der originalen BR26 zeigt. Auch damals wirkte man dem Problem mit entsprechender Beschaltung auf den Pelz.

L7104 unbeschaltet 0° – 45°

 

Eine erste, wenig aufwendige Simulation führt zwar zu einem für viele Entwickler vertretbaren Ergebnis. Der Dip bei 4 kHz dürfte einer guten Klangbalance allerdings nicht förderlich sein. Gleiches gilt für die Senke um 500 Hz, die ebenfalls das Ergebnis sehr einfacher Beschaltung mittels eines 12dB Filters und einer Impedanzlinearisierung ist.

Simulation Amiga 26 PM mit einfacher Beschaltung

 

Erst der Griff in den Bauteilevorrat und eine Verfeinerung der Beschaltung führte zu einem für mich vertretbaren Resultat.

Simulation Amiga 26 PM mit finaler Beschaltung

 

Die Unterschiede werden auf den ersten Blick deutlich.  Die Senke um 500 Hz ist verschwunden, und auch der Dip bei 4 kHz ist unter Winkeln nicht mehr der Rede wert. Nachdem die Weiche auf dem Steckbrett aufgebaut wurde, konnten Messungen am lebenden Objekt vorgenommen werden.

Amiga 26 PM Messung 0°

 

Amiga 26 PM 0° mit Einzelzweigen

 

Amiga 26 PM 0° – 60°

Entgegen der Simulation wurde die Serienspule im Tiefpass als solche mit 1,0 mm Draht ausgeführt, da eine solche in 0,7mm Drahstärke nicht im Bauteilefundus vorhanden ist. Der deswegen etwas lautere Grundtonbereich  wird bei Verwendung einer entsprechenden Spule mit 0,7 mm Draht auf den korrekten Pegel gebracht. In der Simulation lässt sich das einwandfrei verifizieren.

Amiga 26 PM mit 1,0 mm Spule

 

Die Passivmembran erledigt ihren Dienst exakt so, wie vorgesehen. Sie fügt sich wunderbar ins Geschehen ein und die dabei produzierten Resonanzen bleiben auf einem absolut zu vernachlässigenden Niveau.

Amiga 26 PM Nah- und Fernfeld gemerged + Portanteil

 

Auch die Verzerrungswerte geben keinerlei Anlass zur Kritik. Das können auch viele Chassis aus aktueller Produktion nicht besser. Die Damen und Herren in den volkseigenen Betrieben haben ganze Arbeit geleistet.

Amiga 26 PM Klirr @ 85dB

 

Amiga 26 PM Klirr @ 90dB

 

Der Impedanzverlauf bringt eine gewisse Welligkeit mit, die der recht aufwendigen Beschaltung geschuldet ist. Bei Verwendung der vorgesehenen 0,7 mm Spule im Tiefpass unterschreitet die Kurve die 4 Ohm Marke jedoch nicht. Jeder Verstärker sollte somit in der Lage sein, die Amiga 26 PM zu betreiben.

Amiga 26 PM Impedanzverlauf (mit 1,0 mm Spule im Tiefpass)

 

Da es sich bei der Amiga 26 PM um ein Liebhaberprojekt handelt, das eher keine Nachbauer finden wird, habe ich die Beschaltung für einen so kompakten Lautsprecher sehr aufwendig gestaltet. Das klangliche Ergebnis lohnt den Aufwand aber allemal.

Weichenaufbau zur Montage auf der Rückwand

 

Amiga 26 PM Weichenplan

Bau- und Bedämpfungsplan (vergrößern: rechte Maustaste –> Grafik anzeigen)

Die Weichen- und Baupläne sind für private Nutzung freigegeben. Jegliche Form der gewerblichen Nutzung oder Verbreitung ohne vorherige Absprache ist untersagt und wird strafrechtlich verfolgt.

 

 

 

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