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Linearität – Wahrheit oder Wunschgedanke?

Ein perfekt glatter Amplitudenverlauf seiner Lautsprecher zählt zu den wohl erstrebenswertesten Kriterien, die der DIY-Musikfreund sich wünscht. Neben vielen anderen Faktoren zählt eine lineare Abstimmung zu den Grundvoraussetzungen für ein ausgewogenes Klangerlebnis. Was aber nützen die tollsten Simulationen und Messungen, wenn deren Darstellung einen viel zu glatten Amplitudenverlauf vorgaukelt?

Oft fängt es schon bei der Auswahl der Lautsprecherchassis an. Die Datenblätter einiger Hersteller zeigen durch extreme Spreizung der Grafiken einen fast linealglatten Amplitudenverlauf ihrer Chassis.

Amplitudenverlauf eines TMT in gespreizter Darstellung bei 60dB Range im Datenblatt

Die gespreizte Darstellung lässt den Verlauf wesentlich glatter erscheinen als er tatsächlich ist. Skaliert man die obige Grafik in das für solche Darstellungen meist verwendete 4:3 Format, gewinnt die Kurve an Aussagekraft.

Amplitudenverlauf des obigen TMT bei 60dB Range in praxisgerechter Skalierung

Natürlich wird das jeweilige Chassis selbst durch die Auflösung der Grafik nicht besser oder schlechter. Durch die geänderte Darstellungsweise werden aber selbst kleinere Abweichungen und Resonanzartefakte besser sichtbar.

Noch deutlicher werden die Unterschiede bei Chassis, deren Amplitudenverlauf nicht so schön glatt ist, wie im obigen Beispiel.

Amplitudenverlauf eines TMT in gespreizter Darstellung bei 60dB Range im Datenblatt

Skaliert man diese Grafik ebenfalls in das gängige 4:3 Format, entpuppt sich die scheinbar leicht zu korrigierende Unregelmäßigkeit im Mitteltonbereich als nicht so harmlos wie angenommen.

Amplitudenverlauf des obigen TMT bei 60dB Range in praxisgerechter Skalierung

Die beiden obigen Beispiele zeigen eine Range von 60dB. Das heißt, der Anzeigebereich zwischen unterer Linie (50dB) und oberer Linie (110dB) beträgt 60dB. Leider publiziert auch die Hobby HiFi ihre Messungen in einer 60dB Range (45dB – 105dB). Persönlich bevorzuge ich eine Range von 50dB. Viele  Fachzeitschriften, wie z. B. Klang+Ton, oder außerhalb des DIY Stereoplay, wählen für ihre Grafiken ebenso die aussagekräftigere Range von 50dB.

Das großartige und kostenlose Simulationsprogramm Boxsim ist ohne Installation sofort nach dem Download lauffähig. Leider ist es in der Default Version so eingestellt, dass die Anzeige einen Bereich von 40dB – 110dB umfasst. Das ist eine Range von 70dB, die den Amplitudenverlauf viel zu glatt erscheinen lässt. In den Projekteigenschaften bietet Boxsim ferner die Möglichkeit, in die Darstellung einzugreifen. Über die Buttons „grob“, „mittel“, und „fein“ kann die hinterlegte Messkurve eines Chassis, bzw. eine importierte Messung, nochmals geglättet werden. In der Default Einstellung ist „mittel“ voreingestellt. Auch dadurch erscheint der simulierte Amplitudenverlauf glatter, als er tatsächlich ist. Wählt der User zusätzlich noch eine Volldarstellung auf einem der heute üblichen Widescreens, gleicht die Simulation sehr schnell dem vielzitierten Lineal. Wenn der User dann zusätzlich noch die Messung seines Chassis gesmoothed hat…

An folgendem Beispiel wird dies deutlich:

Breitbänder Messung mit ARTA, Darstellung im 4:3 Format ohne Glättung

Sehr deutlich sind selbst kleine Abweichungen vom theroretischen Idealverlauf der Amplitude sichtbar. ARTA bietet die Möglichkeit, den Verlauf der Kurve in verschiedenen Intensitäten zu glätten. Dies kann in diversen Messsituationen hilfreich sein, nicht jedoch bei der Entwicklung und Abstimmung eines Lautsprechers.

Breitbänder Messung mit ARTA, Darstellung im Widescreen Format mit 1/3 oct Glättung

Durch die Glättung der Messung erscheint der Amplitudenverlauf deutlich ausgewogener. Die Widescreen Darstellung verstärkt diesen Effekt zusätzlich. Wird diese Messung im nächsten Arbeitsschritt in Boxsim importiert, ohne die Default Einstellungen des Programms zu verändern, führt dies zu einer nochmaligen Glättung.

Messung in Boxsim importiert, Darstellung im Widescreen Format, Boxsim Default Einstellung

Der Amplitudenverlauf des Chassis erscheint nun schon fast perfekt, wenn man vom Anstieg zum Hochton hin absieht. Wie bereits erwähnt, wird ein Chassis durch die Einstellungen nicht besser oder schlechter. Es besteht jedoch die Gefahr, dass unerfahrene Entwickler sich auf diese Weise unwissend einen viel besseren Amplitudenverlauf ihrer Lautsprecher vorgaukeln, als er tatsächlich ist.

So schaut es in Boxsim aus, wenn eine Range von 50dB, in den Projekteigenschaften die Anzeige  „Fein – 250 Punkte“ und eine Darstellung im 4:3 Format eingestellt wird.

Ungeglättete Messung in Boxsim importiert, Darstellung im 4:3 Format, Boxsim „250 Punkte Fein“

Um es noch einmal deutlich zu machen, bei beiden Boxsim Darstellungen handelt es sich um die selbe Messung des selben Breitbänders im selben Gehäuse. Lediglich die Darstellungsweise wurde verändert.

Ein kleiner Tip, für alle die es noch genauer haben möchten. Boxsim glättet auch in der Einstellung „Fein 250 Punkte“ noch. Die 250 Punkte können mit bis zu 599 Punkten überschrieben werden…

 

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