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Bassreflex vs. Passivmembran

Lautsprecherchassis haben sich im Laufe der Jahre immer weiter entwickelt. Obwohl sich am Grundprinzip eigentlich wenig geändert hat, bringt die Industrie immer häufiger Spezialisten auf den Markt, deren Einsatzbereich sich immer mehr vom universell einsetzbaren Chassis entfernt. Diese Spezialisten sind meist auf einen bestimmten Einsatzbereich optimiert. So findet man auch immer häufiger kleine Basslautsprecher, die trotz ihrer Winzigkeit in der Lage sind, in sehr kleinen Volumina tiefe Frequenzen wiederzugeben. Dies ist einerseits eine wünschenswerte Entwicklung, die andererseits auch Nachteile birgt und nicht zu unterschätzende Probleme mit sich bringt.

Ein gravierender Nachteil ist die Tatsache, dass Tiefgang und Wirkungsgrad sich einander ausschließen. In der Praxis bedeutet das, dass ein kleiner Tieftonspezialist in aller Regel zu einem Leisesprecher führt. Das sei aber nur am Rande bemerkt. Viel gravierender wiegt die Tatsache, dass eine tiefe BR Abstimmung einen sehr langen Port benötigt. So ist es in der Praxis nicht selten der Fall, dass ein solches Chassis in einem angenommenen Volumen von vielleicht 3 Litern für die gewünschte Abstimmung eine Portlänge benötigt, die in diesem Volumen mechanisch nicht unterzubringen ist.

In solchen Fällen ist der Griff zu einer Passivmembran die sinnvolle Alternative. Eine solche Passivmembran ist nichts anderes als ein konventionelles Lautsprecherchassis, dem der Antrieb, also Magnet und Schwingspule, fehlt. Akustisch verhält sich ein solches Konstrukt wie ein BR Lautsprecher, wobei die gewünschte Abstimmfrequenz bei gegebenen mechanischen Daten der Passivmembran über das Gewicht der Membran eingestellt wird.

Das klingt zunächst einfach, man darf allerdings bei der Dimensionierung einer PM gewisse Dinge nicht vergessen. Im Bereich der Abstimmfrequenz entlastet ein BR Port das Chassis in erheblichem Maße, da in diesem Bereich ein Großteil des Pegels vom Port abgestrahlt wird. Damit das bei einer PM auch funktionieren kann, muss diese bei identischer Größe wie das Chassis mehr Hubfähigkeit mitbringen. Andernfalls ist kein Zugewinn von Pegel zu erreichen, was ja der Sinn einer solchen Abstimmung ist. Das Verschiebevolumen muss also deutlich höher liegen, als beim Chassis selbst. Bei den kleinen Tiefton Spezialisten ist es aber zumeist so, dass diese recht hubfähig konstruiert sind. Es wird also schwer bis unmöglich, eine PM zu finden, die bei gleicher Größe einen deutlich höheren Maximalhub aufweist.

Man kann dies aber elegant umschiffen, indem man zu einer größeren PM greift. In der Praxis hat sich gezeigt, dass eine PM zwei Größenklassen höher als das Chassis selbst, zu den besten Ergebnissen führt. Positiver Nebeneffekt ist, dass man sich dann meist keinen nennenswerten Gedanken mehr zum Thema Hubfähigkeit machen muss. Nun, was bringt ein angenommener 4 Zoll Tieftöner, wenn man zu einer 6,5 Zoll PM greifen sollte? Der Vorteil ergibt sich, wenn die PM auf einer Seite des Gehäuses montiert wird. Einer schlanken Front tut das keinen Abbruch. Es kommt aber noch ein weiterer Vorteil hinzu. Eine PM kann prinzipbedingt keine Portresonanzen produzieren. Leider hat sich dadurch die Mär manifestiert, eine PM würde „Portmüll“ verhindern. Dies ist leider nicht ganz richtig, denn es können durchaus im Gehäuse angeregte Resonanzen durch die Membran nach außen dringen.

Schon Goethe wusste: „Wo Licht ist, ist auch Schatten.“ Die PM bringt gegenüber einer klassischen BR Abstimmung noch ein paar kleinere Nachteile mit. So ist die Performance des Gesamtsystems in fast allen Fällen etwas schlechter als bei einem BR Lautsprecher. In erster Linie liegt das an dem zusätzlichen Energiespeicher, der durch die Aufhängung (Sicke) und die Zentrierung der Membran einer PM zwangsläufig gebildet wird. Im Allgemeinen fällt der Frequenzgang im Vergleich zu BR unterhalb der Abstimmfrequenz auch etwas steiler ab.

Natürlich ist der Einsatz einer PM nicht allein auf die kleinen Tieftonspezialisten beschränkt. Es spricht nichts dagegen, universellere Tieftöner, die auch zu einer praktikablen BR Abstimmung führen, mit einer PM zu kombinieren. In meinen Bauvorschlägen finden sich zwei Lautsprecher, die mit einer Passivmembran ausgestattet sind, die Minimo

Minimo

 

und die Amiga 26 PM

Amiga 26PM

 

Wichtig ist, bei der Auswahl der PM darauf zu achten, dass diese mit dem ausgewählten Chassis harmoniert. Das lässt sich sehr einfach und zuverlässig mit dem kostenfreien Simulationstool WinISD überprüfen. Obwohl inzwischen die Version 0.7.950 verfügbar ist, empfehle ich die deutlich übersichtlichere und benutzerfreundlichere Version 0.50 aus 2004. Diese läuft in Windows 10 ohne jegliche Probleme.

Am Beispiel des derzeit sehr beliebten Koax 5.5 C 1.5 CP aus dem Hause Sica zeige ich nachfolgend diverse Simulationen in BR und mit verschiedenen Passivmembranen auf.

In WinISD wählt man zunächst „New Project“ und ruft über den „New“ Button den Driver Editor auf. Unter „General“ kann man sein Chassis benennen. Unter dem Reiter „Parameters“ werden die TSP eingegeben und der Datensatz abgespeichert. Ist dies geschehen, klickt man man erneut „New Project“ und wählt sein soeben abgespeichertes Chassis aus.

Auswahl Sica 5.5 C 1.5 CP

 

Nach einem Klick auf den „Next“ Pfeil erscheint folgende Maske.

Anzahl und Anordnung der verwendeten Chassis

 

Weiter geht es mit einem erneuten Klick auf „Next“ zu folgender Abfrage.

Auswahl „Passive Radiator“ im Fenster „Box Type“

 

Natürlich muss auch hier wieder mit „Next“ bestätigt werden.

Auswahl Alignment (bei PM nicht verfügbar)

 

Ein Klick auf „Finish“ führt zunächst zu einem Warnhinweis, der darauf aufmerksam macht, dass die optimale Abstimmung einer PM in WinISD händisch mit Try & Error vorgenommen werden muss .

Warnhinweis hinsichtlich händisch vorzunehmender Abstimmung

 

Es empfiehlt sich deshalb, im Vorfeld eine klassische BR Abstimmung zu simulieren, um einen Anhaltspunkt für das zu verwendende Volumen zu erhalten.

BR Gehäusevorschlag mit 5,93 Litern von WinISD

 

WinISD schlägt automatisch ein Volumen von 5,93 Litern vor. Unter dem Reiter „Signal“ habe ich einen praxisgerechten Vorwiderstand von 0,6 Ohm gewählt. Das ist bei allen nachfolgenden Simulationen auch der Fall. Die Simulation kann man so durchaus als ordentlich bezeichnen. Ich optimiere die Ergebnisse von WinISD immer noch. Es bleibt natürlich jedem selbst überlassen, das zu tun. Ich mag es, wenn sich ein „Max-Flat-Verhalten“ einstellt. Dieses wird durch Vergrößerung des Volumens auf 6,7 Liter bei leichter Variation der Abstimmfrequenz erreicht. Sowas mag man gern als Kaffeesatzleserei abtun, aber warum sollte man kostenloses Potenzial verschenken. Unvermeidbare Abweichungen beim Aufbau kommen gewiss noch von selbst dazu.

BR Gehäusesimulation auf Max-Flat optimiert

 

Versuchen wir im nächsten Schritt, dieses Verhalten mit einer Passivmembran nachzustellen. Inzwischen werden viele fertige PM angeboten, die leider in vielen Fällen keine praxisgerechten TSP aufweisen und zu ärgerlichen Fehlabstimmungen führen. Deswegen „schlachten“ wir virtuell einen preiswerten 6,5 Zöller, den DY166-9A_4 von Dynavox. Dieses Chassis ist ab etwa 8 Euro zu haben, und es ist als Passivmembran durchaus zu gebrauchen.

Geben wir also seine von mir ermittelten TSP in das Simutool ein und schauen, was passiert.

BR (grau) vs. PM aus DY166 ohne Zusatzmasse (lila) vs. PM aus DY166 mit 7 Gramm Zusatzmasse (blau)

 

Wir sehen, dass die Performance im Vergleich zur BR Variante ein gutes Stück schlechter ist. Die Membranfläche der PM ist um den Faktor 1,76 größer als die des Sica Koax. Sicherlich kann man eine alternative PM dieser Größe finden, die zu marginal besserer Performance in der Lage ist, jedoch langt es wahrscheinlich nicht, eine f3 im Bereich einer klassischen BR Abstimmung zu erlangen.

Im nächsten Schritt wählen wir eine PM aus der 8″ Klasse. Dafür wurde ein BG20 geschlachtet und seines Antriebs beraubt.

BR (grau) vs. PM aus BG20 ohne Zusatzmasse (lila) vs. PM aus BG20 mit 40 Gramm Zusatzmasse (blau)

 

Erst mit einer größeren PM ist die Performance quasi identisch zur BR Abstimmung. Das Größenverhältnis zwischen Chassis und PM beträgt rund 2,72. Dennoch ist ersichtlich, dass die Variante mit der PM etwas steiler abfällt als die klassische BR Ausführung.

Im dritten Beispiel verwenden wir eine als Fertigprodukt angebotene PM mit einem SD von 178 cm², was einem Größenverhälnis von etwa 2,28 entspricht. Es handelt sich um die SB15SFCR-00 von SB Acoustics. Die ovale Bauform der Passivmembran bietet sich für schmale Gehäuse geradezu an. Die PM lässt sich quasi perfekt auf der Gehäuserückseite verstecken.

BR (grau) vs. PM SB15SFCR-00 ohne Zusatzmasse (lila)

 

Es zeigt sich, dass diese PM für die Kombination mit dem kleinen Sica Koax gänzlich ungeeignet ist. Bereits ohne zusätzliche Masse fällt der Pegel viel zu früh ab.

Fazit: Richtig dimensioniert kann eine Abstimmung mit einer Passivmembran einer klassischen BR Abstimmung durchaus das Wasser reichen. Es gilt einfach nur, die richtige Kombination zu finden, und man muss sich mit dem Gedanken anfreunden, eine im Verhältnis zum Chassis deutlich größere PM zu wählen.

6 Kommentare

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    • Michael auf 24. Januar 2022 bei 17:07

    Danke für die Erklärung!
    Mir sind PMs vor allem bei kleinen Bluetooth-Lautsprechern im „Soda-Can“ Formfaktor aufgefallen. An den Enden oben und unten sind die Passivmembrane, und an der Längsseite die Treiber (siehe zB https://www.amazon.de/gp/product/B07KXN8G6D/). Ich vermute der Grund für diese Konstruktion ist dass zwei kleine PMs leichter unterzubringen sind als ein BR Port, oder ist das Quatsch?

    • admin auf 25. Januar 2022 bei 12:05
      Autor

    Hallo Michael,

    ich denke, dass solche Bluetooth Lautsprecher das, was die Hersteller solcher kleinen „Dosen“ Bass nennen, auf elektronischem Weg erzeugt wird. Wirklichen Bass hat man aus so kleinen Membranen in solch kleinen Gehäusen eher nicht zu erwarten. Den angesprochenen Lautsprecher kenne ich nicht. Sollte dieser halbwegs seriös konstruiert sein und über ein Chassis verfügen, das in dem kleinen Volumen zur Wiedergabe halbwegs tiefer Frequenzen in der Lage ist, ist eine PM sicherlich der sinnvollere Weg, eine passende Abstimmung zu erzielen.

    Viele Grüße, Alex

    • Daniel Burger auf 31. Dezember 2023 bei 10:30

    Hallo Alex,

    seit Monaten versuche ich eine Raummode bei ca. 32 Hz aus meinem Hi-Fi Zimmer zu bekämpfen.
    Aber ich möchte das mit Physik machen und nicht mit Elektronik und habe schon den ein oder anderen HHR gebaut aber mit mäßigem Erfolg, dann habe ich einen „Plattenschwinger“ gebaut, der ging eigentlich gar nicht wichtig.

    Frage: Eignet sich nicht so eine passive Membrane zum Bau eines Bassabsorber

    Ich stelle mir vor, wenn ich ein Gehäuse baue mit der Passive Membrane baue welche meine Raummoden Rf hat, dass es die Energie aus dem Raum nimmt.

    Vielen Dank für dein Feedback

    Daniel

    • admin auf 31. Dezember 2023 bei 11:49
      Autor

    Hallo Daniel,

    wie du selbst schon bemerkt hast, kommst du mit einem HHR nicht wirklich weiter. Eine PM ist technisch gesehen nicht anderes als ein normaler BR Port. Durch die Aufhängung der Membran kommt jedoch ein weiterer Energiespeicher dazu. Das Ergebnis wird mit dem der von dir bereits gebauten HHR sehr nah übereinstimmen.

    VG Alex

    • Matthias Dankwardt auf 6. Januar 2024 bei 14:58

    Hallo Alex,

    ich möchte einen Bauvorschlag aus K+T 1/2024 realisieren (Furiosa).

    In dem LS sind zwei TT in einem 70l BR-Gehäuse verbaut. Da ich BR nicht so recht mag, möchte ich Passivmembrane einsetzen. Die Frage ist nun, ob ich zwei PM verbauen muss/ kann? Es handelt sich um zwei Scan Speak Treiber 18W/8522 A01.
    Das BR Rohr soll 7cm Durchmesser haben, bei einer Länge von 18cm.

    Vielen Dank für Deine Rückmeldung.

    Gruß
    Matthias

    • admin auf 6. Januar 2024 bei 17:05
      Autor

    Hallo Matthias,

    leider kann ich dir nicht sagen, ob und mit welcher PM dein Chassis in dem Gehäuse harmoniert. Ich denke, der Entwickler des Lautsprechers kann dir eher eine Auskunft erteilen.

    Viel Glück und viele Grüße

    Alex

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